Ob Kita, Schule oder Notarzt: Die kaputtgesparte Daseinsvorsorge ist am Ende

Nichts geht mehr

Ende November erfuhren die Familien von 23 Kleinkindern an einer Kita in Berlin, dass ihre Kindergartengruppen zum Jahresende dauerhaft geschlossen werden, weil es an Personal fehlt. Nur drei Kindern wurde ein Ausweichplatz angeboten, wie der „Tagesspiegel“ berichtete. Der Rest steht ab Januar ohne Kita-Platz da. Meldungen wie diese häufen sich derzeit. Überforderte Erzieherinnen und Erzieher hetzen von Kind zu Kind. Familien stehen morgens vor verschlossenen Türen. In den Schulen fallen unzählige Unterrichtsstunden aus. Aber nicht nur Kindergärten und Schulen sind betroffen. Auch Rettungsdienste schlagen Alarm, weil sie nicht mehr wissen, wohin sie ihre Patienten noch bringen können. Überlastete Kliniken machen ihre Notaufnahmen dicht. Auch die ambulante Versorgung kann den Bedarf nicht mehr decken. Die Daseinsvorsorge bricht zusammen.

Es ist eine Katastrophe mit Ansage. Jahrzehntelang wurden lebenswichtige Leistungen kaputtgespart und privatisiert. Regierungen unterschiedlicher farblicher Zusammensetzung wollten „mehr Markt“ wagen und einen „schlanken Staat“ schaffen. Die Folgen dieser Politik lassen sich nicht mehr verdecken. Längst herrschen überall Notlösungen vor. Schon im September dieses Jahres warnten 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einem Brandbrief vor dem Zusammenbruch der Kindertagesbetreuung. Es bestehe die Gefahr, dass „die Kindertageseinrichtungen von Lern- und Lebensorten für Kinder und Familien wieder zu reinen Aufbewahrungsstätten werden“. Bis zum Jahr 2025 würden knapp 179.000 pädagogische Fachkräfte fehlen. Der Krankenstand aufgrund psychischer Erkrankungen sei im Vergleich zu anderen Berufsgruppen sehr hoch. Auch die Zahl der psychisch belasteten Kinder sei in der Pandemie von 20 auf 30 Prozent gestiegen.

Der enorme Stress und die Bedingungen, die eine pädagogische Arbeit fast unmöglich machen, drängen viele Betroffene aus dem Job. Das gilt auch für andere Bereiche der Daseinsvorsorge. In der Sozialarbeit waren zwischen Juli 2021 und Juli 2022 durchschnittlich 20.578 Stellen unbesetzt, wie das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln ermittelte; auch in der Alten- und in der Krankenpflege gibt es enorme Lücken. Diese Verhältnisse sind auch die Folge eines radikalen Stellenabbaus im Öffentlichen Dienst. Zwischen 1991 und 2010 haben die Kommunen mehr als ein Drittel ihres Personals abgebaut. Bundesweit wurden in diesem Zeitraum rund 1,6 Millionen Arbeitsplätze im Staatsdienst gestrichen, wie die Hans-Böckler-Stiftung ermittelte. Mehr als zwanzig Jahre Kahlschlag lassen sich nicht einfach ungeschehen machen. Der nun vielbeklagte Personalmangel beweist das.

Eine Grippewelle reicht inzwischen aus, um das auf Kante genähte System zum Erliegen zu bringen. Derweil werden Zusammenhänge verwischt und lediglich Symptome behandelt. Beispielhaft ist die aktuelle Situation in Berlin: Hier bricht das Rettungswesen zusammen, weil Personal fehlt und die Einsatzzahlen zunehmen. Letzteres geschieht auch, weil es kaum noch Möglichkeiten einer schnellen ambulanten Versorgung gibt – im Zweifelsfall wird also der Rettungsdienst gerufen. Die „Lösung“ des Berliner Senates: Die Besetzungsvorgaben für Rettungswagen werden aufgeweicht. Die Abwärtsspirale von sinkender Qualität, dünnen Personaldecken und zunehmenden Belastungen dreht sich weiter.

Währenddessen setzt die Bundesregierung die Politik fort, die zur aktuellen Situation geführt hat. Mit dem unterfinanzierten „Deutschland­ticket“ gerät der ÖPNV unter Druck. Die angekündigte Krankenhausreform ändert nichts an dem Kostendruck im Gesundheitswesen. Das „Gute-Kita-Gesetz“ stellt nicht einmal genügend Mittel bereit, um den Sanierungsstau von 10,5 Milliarden Euro bei den Kindergärten zu bekämpfen. In der kommenden Tarifrunde des Öffentlichen Dienstes muss es für die Beschäftigten auch darum gehen, die anhaltende Zerschlagung der Daseinsvorsorge zu thematisieren. Denn die Gegenseite wird die selbstgemachte Krise zum Vorwand nehmen, um Forderungen zu drücken und faule Kompromisse anzubieten.

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"Nichts geht mehr", UZ vom 23. Dezember 2022



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