Dieser Tage hat die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Deutschen Bundestag dazu aufgerufen, das „Arbeitszeitgesetz zu verteidigen“. Im ersten Moment erscheint dies konsequent und richtig. Wird doch durch die Corona-Notstandsregelungen erstmals der 12-Stunden-Arbeitstag möglich. Doch diese Sicht greift viel zu kurz.
Das Arbeitszeitgesetz regelt nicht die tatsächliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer. Das tun Tarifverträge und Einzelarbeitsverträge. Deshalb ist auch die 40-Stunden-Woche, von der immer noch einige glauben, sie sei „Standard“ in Deutschland, nicht gesetzlich geregelt. Im Gegenteil: Die SPD hatte 1994 noch versucht, eine gesetzliche 40-Stunden-Woche ins Gesetz zu bringen. Dies war notwendig geworden, da das Bundesverfassungsgericht eine Neuregelung zur Nachtarbeit verlangte. Doch Helmut Kohl war Bundeskanzler und er hob „sein“ Arbeitszeitgesetz aus der Taufe. Und das hatte es in sich! Das Gesetz veränderte die Rahmenbedingungen für die Arbeitszeitregelungen in Tarifverträgen und Arbeitsverträgen grundlegend: Es schuf den Einstieg in die großräumige Verlängerung der Arbeitszeit und in die Arbeitszeitflexibilisierung. Damit wurde erstmals (bei entsprechendem Zeitausgleich) eine befristete 60-Stunden-Woche ermöglicht. Zugleich schuf das Gesetz vielfältige Möglichkeiten der Flexibilisierung der Arbeitszeit, heute verkauft unter dem Begriff der vermeintlichen „Arbeitszeitsouveränität“. Zugleich wurde der bis dahin obligatorische Zuschlag für Mehrarbeit über 10 Stunden täglich einfach abgeschafft. Die effektive Kontrolle der Arbeitszeit wurde massiv erschwert, wie das Überstunden-Urteil des Europäischen Gerichtshofs deutlich gemacht hat.
Wohlgemerkt: All dies waren Änderungen, die weit hinter das vorherige Arbeitszeitrecht zurückfielen. Vor diesem Hintergrund ist der Aufruf zur Verteidigung des Arbeitszeitgesetzes mindestens etwas kühn, denn es ist gerade dieses Gesetz, das die vermeintlich starren Regeln des 8-Stunden-Arbeitstages aufgelöst und das Interesse der Arbeitnehmer an einem berechenbaren Arbeitstag vernachlässigt hat. Zahlreiche arbeitsmedizinische Untersuchungen von Berufsgenossenschaften haben ergeben, dass es eine „Arbeitszeitsouveränität“ nicht gibt und dass die Abweichung von berechenbaren Arbeitszeitstandards gesundheitsschädlich ist. Aus Sicht der Gewerkschaften sind deshalb sicher erreichte Arbeitszeitstandards – etwa in Tarifverträgen – verteidigenswert, nicht aber ein Gesetz, das erst die Tore aufgestoßen hat zu einem Arbeitszeitregime, in dem es nur noch um die Verteilung der „Masse“ an Arbeitszeit geht, nicht aber um den Schutz der Arbeitnehmer vor überlangen Arbeitszeiten. Insofern sind gerade die neuen „Notstandsregeln“ anlässlich von Corona kein Grund, dieses Gesetz zu verteidigen.