Über Vorschläge des EMGR für die Rechtsprechung im 21. Jahrhundert

Nicht vergleichbar

Stellen wir uns vor, auf den bekannten Vertreter einer konzernkritischen Vereinigung in Deutschland wird ein Mordanschlag verübt. Immer wieder hatte er die Gefahren für Mensch und Umwelt angeprangert, die von der deutschen chemischen Industrie ausgehen.

So sammelte er viele Feinde mit Methoden der Einschüchterung, von denen sie auch Gebrauch machten. Die zerstochenen Reifen seines Kleinwagens ersetzte er meist mit Mitteln von Solidaritätsfonds; damit kam man nicht recht vorwärts. Und weil das den Konzernen nach 1945 aufgezwungene System nicht mehr gänzlich ungesühnt lassen kann, jemandem mit einer Schlägertruppe aufzulauern oder ihn einfach verschwinden zu lassen, versuchte man es vor allem mit Klagen – wissend, dass in Deutschland a) die meisten Richter und Konzernjustitiare schon in ihrem Jurastudium in der Abscheu gegenüber Linken Gemeinsamkeiten fürs Leben erworben haben und b) die finanziellen Reserven dieser Weltverbesserer lange vor denen der Unternehmen zur Neige gehen und sich Rechtsstreit so meist von allein löst.

Aber wenn zum Beispiel explosive Chemie-Pipelines durch Wohngebiete führen sollen, dann sind Überzeugungstäter auch von Urteilen nicht abzuschütteln, bis man sie gänzlich ruhigstellt. Man kann dann von den alleroffensichtlichsten Verdachtsmomenten besser ablenken, wenn der Mann außer dem Kapital noch weitere Gegner hat. Stellen wir uns also ferner vor, dieser Umwelt- und Sozialaktivist wäre zudem noch politischer Gegner der Bundesregierung. Da diese ihre Hand über die Konzerne hält, wäre das ja auch kaum verwunderlich.

Dass aber die Bundesregierung wirklich einem ihrer Gegner nach dem Leben trachtet, kann ein seriöses Land nicht einfach behaupten. Also kolportiert Russlands Regierung, der Mann sei Opfer des deutschen Geheimdienstes; nur ein paar Profilneurotiker, die gern Putin beerben würden, beschuldigen Frau Merkel direkt.

Natürlich bestreitet Merkels Kabinett jegliche Beteiligung am Mordkomplott – hier gebe es keine Verschwörungen, sondern im Land der Dichter und Denker entstünden allenfalls deren Theorien; und das auch nur bezüglich Taten anderer Staaten. Dass in einem Land, wo schon ein Flughafenbau zu einem ernsten logistischen Problem wird, ein geheimdienst-staatlich angeordneter Mordanschlag nur zur Hälfte gelingen kann und Putin auch nicht dadurch überzeugt werden kann, dass dem unbeugsamen Aktivisten in einer Düsseldorfer Klinik zunächst das Leben gerettet und er sodann hochoffiziell nach Moskau ausgeflogen wurde, wären die letzten machbaren Umkehrungen in unserem kleinen Szenario.

Schon Herrn Lawrows Ratio würde verhindern, in Russland jemals solchen Unsinn zu verbreiten, wie es sein deutscher Kollege hier tut; noch würde die russische Bevölkerung davon ansatzweise so viel glauben wie die deutsche. Sich solcher Umkehrung verweigern würde natürlich auch der Straßburger Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Der EGMR unterbindet binnen 48 Stunden zuerst das Recht von Afghanen, nicht ermordet zu werden, sofern die Justiz des die Tötung kommandierenden NATO-Landes den Freispruch des Befehlsgebers rechtschaffen begründet hat (wohl als besondere Form der Selbstjustiz), und drangsaliert danach die Regierung Russlands, die Unabhängigkeit seiner Justiz vor der Weltöffentlichkeit zu entsorgen, indem man „Nawalny sofort freilassen“ müsse, weil Risiken für sein Leben bestünden.

Fassen wir zusammen: Die Angehörigen von Sacco und Vanzetti hätten sich vom EGMR sagen lassen müssen, dass die US-Justiz ihre eigene Entscheidung selbst ausreichend geprüft habe. Und alle europäischen Länder haben fortan ihre Justiz durch Regierungsdekrete zu ersetzen, sofern die Unsterblichkeit von Gefangenen im Strafvollzug nicht garantiert werden kann.

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"Nicht vergleichbar", UZ vom 26. Februar 2021



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