Ein neues Geschichtsbuch über den Arbeiterwiderstand von Ulrich Schneider

Nicht vergessen

In der offiziellen Geschichtsschreibung – bis in die Schulbücher hinein – wird häufig der Anteil der Arbeiterbewegung am antifaschistischen Widerstand vernachlässigt. Jupp Angenfort, Kommunist und VVN-BdA-Aktivist, wies daher in fast jeder Rede auf die Worte des Schriftstellers Ernst Wiechert hin, die dieser mit Blick auf die späten Widerstandskämpfer aus dem Bürgertum schrieb: „Sie alle treten zurück hinter den langen Zügen, die aus den Hütten des armen Mannes bei Tag und Nacht ihren Todesweg antraten. Vieler Jahrzehnte Lasten, Hunger und Qual hat der deutsche Arbeiter getragen, Kriegs- und Friedenslasten, aber niemals hat er eine schwerere getragen als in diesen zwölf Jahren. Niemals auch eine ehrenvollere, und keine Hand einer dunklen oder hellen Zukunft soll diesen unvergänglichen Glanz von seiner Stirne wischen.“

Namen des Arbeiterwiderstands muss man unter dem Aufruf „Nachkommen von Widerstandskämpfern fordern Kampf gegen rechts“ mit der Lupe suchen. In den Dokumenten zur Erklärung „Unternehmer und Gewerkschaften gemeinsam gegen die AfD“ findet man nur historisch Harmonisches unter der Losung der Sozialpartnerschaft. Ganz schlimm wird es, wenn die IG Metall gemeinsam mit den Rüstungsindustriellen eine „zukunftsfähige Verteidigungsindustrie“ fordert. Es ist klar: Ulrich Schneiders Buch zum Arbeiterwiderstand kommt im rechten Moment heraus.

261201 Arbeiterwiderstand - Nicht vergessen - PapyRossa, Ulrich Schneider - Theorie & Geschichte

Schneider würdigt den Arbeiterwiderstand gegen den aufkommenden Faschismus in der Weimarer Republik. Natürlich behinderte die Spaltung der Arbeiterbewegung deren Kräfte stark.

Der Autor schildert den grausamen Terror der Nazis. Mit der Etablierung des NS-Regimes begann die Arbeiterbewegung dennoch, Verfolgten bei der Flucht zu helfen, Netzwerke aufzubauen, mit Flugblättern aufzuklären und eine antifaschistische Praxis unter den Bedingungen der Illegalität zu entwickeln. Berichtet wird über das Streben nach der Volksfront im Exil und den Kampf für die spanische Republik, ausgefochten auch durch Tausende deutsche Arbeiter mit der Waffe in der Hand. Über die Solidarität mit den Verfolgten am Beispiel der Flugblatt-aktion der KPD gegen die Schande des Judenpogroms im November 1938 erfährt man Näheres.

Der Höhepunkt des Buches ist das Kapitel „Arbeiterwiderstand im Krieg“. Während des Krieges bildeten sich neben den bisherigen Gruppierungen auch parteiübergreifende. Diese haben wichtige Aussagen auch zur erforderlichen Nachkriegspolitik gemacht. Denn die Arbeiterwiderständler wollten nicht nur Adolf Hitler stürzen – wie die meisten der Offiziere des 20. Juli –, sondern das faschistische System beseitigen. Vieles erinnert an Friedrich Schiller, einst bezogen auf den Kampf gegen einzelne Adelige oder den gesamten Absolutismus: „Einen Tyrannen zu hassen vermögen auch knechtische Seelen; nur wer die Tyrannei hasset, ist edel und groß“.

Entschädigt wurden die wenigsten Opfer. Es flossen geringe Zahlungen an überlebende Zwangsarbeiter. Geraubte Kunstschätze wurden an die Erben zurückgegeben, den Hinterbliebenen der Sklavenarbeiter wurde der vorenthaltene Lohn aber nicht ausgezahlt. Die braunen Ausbeuter vererbten, ihre Enkel gehören heute zu den reichsten Familien im Land. Neben Stolpersteinen für die Opfer sollte es auch Warntafeln vor den damaligen Tätern geben.

Schneider stellt fest, dass die Frauen und Männer, die sich oftmals schon vor 1933 dem Vormarsch der NSDAP entgegengestellt haben, zu Recht als Teil der Antihitlerkoalition angesehen werden, die die Befreiung von Faschismus und Krieg ermöglicht hat. Denn „blinde Flecken“ im bundesdeutschen Geschichtsbild werden heute bewusst erzeugt – in einer Zeit, da die Rüstungsindustrie wieder ungeheuer anwächst und die Politik mitbestimmt. Es gilt, „politische und gesellschaftliche Alternativen zur heutigen Politik“ aus den seinerzeitigen Kämpfen wieder erfahrbar zu machen.

Ulrich Schneider
Arbeiterwiderstand im Dritten Reich
PapyRossaVerlag Köln 2024, 127 Seiten, 12,00 Euro
Erhältlich im UZ-Shop

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"Nicht vergessen", UZ vom 28. Juni 2024



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