Die Kölner Silvesternacht sollte auch 2016 eine besondere werden. Tage und Wochen zuvor flimmerten die immer gleichen und wenig aussagekräftigen Bilder der Silvesternacht 2015 auf der Domplatte über die Bildschirme. Dort war es vermehrt zu sexuellen Übergriffen, den Aussagen nach überwiegend durch Nordafrikaner, gekommen. Über das reale Ausmaß der medial als Massenvergewaltigung hochgeschriebenen Ereignisse gibt es bis heute keine Klarheit.
An diesem Jahreswechsel nun sollten 1 700 zum Teil schwer bewaffnete Beamte für Ruhe und Ordnung auf der Domplatte sorgen. Die gingen auf Nummer sicher, selektierten hunderte junge Männer, die irgendwie nordafrikanisch aussahen, im Bahnhof und führten sie direkt in einen Polizeikessel. Dieses Vorgehen nennt man „racial profiling“. Es ist grundgesetzlich verboten und in dieser Dimension ein Novum.
Die Kölner Polizeiführung ließ alle Kritik an dem offen rassistischen Einsatz abtropfen. Die Nafris – Polizeisprech für „Nordafrikanische Intensivtäter“ – seien in Gruppen gekommen, hätten sich verabredet, seien zum Teil alkoholisiert gewesen. Nicht ungewöhnlich am Silvesterabend. Es sei „aggressives Potential“ beobachtet worden. Es blieb unklar, ob die massive Begleitung durch bewaffnete Polizisten bei der Anreise, das Anhalten und Leeren von mindestens vier Zügen, die mehr als 650 Personenkontrollen, 900 Platzverweise und der Polizeikessel – kurz, das „konsequente Vorgehen“ der Polizei – zu dieser Stimmung beigetragen hatte.
Die einfache Frage der Grünen-Chefin Simone Peter nach der Verhältnis- und Rechtmäßigkeit des Einsatzes ging in Empörung unter. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) machte allein die Frage „wahnsinnig wütend“. CDU-Generalsekretär Peter Tauber schimpfte über die grüne Multikulti-Schönfärberei und der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl fragte: „Wie viele Tote, Verletzte und wie viele vergewaltigte Frauen braucht Frau Peter noch, damit sie zu Verstand kommt?“ Da braucht es keine AfD.
Alle fünfe gerade sein lassen – diesem Motto entsprach auch die Debatte im ARD-Presseclub „Ist unser Staat stark genug?“ am 8. Januar. Sie drehte sich vor allem um den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt und den mutmaßlichen Täter Anis Amri. Einigkeit von Taz bis FAZ, dass die Gesetze schon okay und ausreichend seien. Problematisch seien Vollzugslücken, schlecht aufgestellte Landesbehörden und vor allem die Justiz, die die Polizisten häufig im Regen stehen lasse. Tenor: Die lästigen Hürden beim Mithören, -lesen und -sehen, beim Einkesseln, Wegsperren und Abschieben müssen weg. Die Zuständigkeiten müssen neu sortiert werden. „Wenn es eine Chance gibt, da was zu ändern, dann nur nach solchen Anschlägen“, sprach es Bild-Kolumnist Hugo Möller-Vogg aus.
Die Ereignisse in Köln, die Anschläge in Berlin, Würzburg und Ansbach sind nützlich für den Ausbau des autoritären Staates. Genaues Hinsehen wird mehr oder weniger gekonnt verhindert. Amri mit einem V-Mann im Auto nach Berlin? Das läuft unter Pleiten, Pech und Pannen.
Ängste und Sicherheitsbedürfnisse werden bewusst erzeugt. Das Feindbild ist klar: Es sind die Flüchtlinge, die die Gefahren ins Land bringen. Ebenso deutlich ist die Antwort der Straße: Laut Amnesty International brannte 2015 jeden dritten Tag eine Flüchtlingsunterkunft.
Der Staat braucht diese Stimmung, um die Interessen des Monopolkapitals zu schützen. Er braucht sie, um die aggressive Politik nach außen, „den Krieg gegen den Terror“, und die aggressive Politik nach innen, den sozialen Kahlschlag, die Entrechtung der Massen und damit das Sichern der Pfründe der Auftraggeber, durchzusetzen.
Insofern trifft SPD-Chef Sigmar Gabriel bei seinem hilflosen Versuch, den neuen Sicherheitspaketen von Thomas de Maiziêre (CDU) eine soziale Komponente hinzuzufügen, die Sache ungewollt den Punkt. Er warnt in einem FAZ-Beitrag „Sicherheit ist soziales Bürgerrecht“ am 9. Januar davor, dass die von seiner Partei abgehängten Menschen („in sozialen Brennpunkten“ und „rechtsfreien Räumen“) auf die Idee kommen könnten, Sicherheit sei eine Klassenfrage.
Ja, das wäre was, wenn mehr und mehr Menschen erkennen, dass es nicht um „unsere Sicherheit“ geht, sondern um die des Monopolkapitals. Diese gegen uns durchzusetzen, ist die Aufgabe der Inneren Sicherheit. Klasse gegen Klasse.