„Die Linke“ sucht nach den Ursachen für ihre Wahlniederlage

Nicht über jedes Stöckchen springen

Nach der Wahlniederlage der Partei „Die Linke“ diskutieren deren Mitglieder über Ursachen. In der letzten Ausgabe (UZ vom 8. Oktober) sprach UZ mit Alex­ander Neu, der den Wiedereinzug nicht schaffte. In dieser Ausgabe spricht UZ mit Kathrin Vogler. Sie gehört zu den wiedergewählten Bundestagsabgeordneten der Partei „Die Linke“ und ist Friedenspolitische Sprecherin ihrer Fraktion.

UZ: Ihre Partei hat den Wiedereinzug in den Bundestag nur aufgrund der gewonnenen drei Direktmandate geschafft. Warum haben sich so viele Wählerinnen und Wähler von Ihrer Partei abgewandt?

410502 vogler - Nicht über jedes Stöckchen springen - Bundestagswahl, Linkspartei - Politik

Kathrin Vogler: Die Gesamtlage war für uns schwierig, weil wir zwischen den Blöcken von SPD/Grünen und Union/FDP zerrieben wurden und „unsere“ Themen im medialen Wahlkampf nicht bestimmend waren. Da, wo sie es waren, wurden sie gegen uns gewendet, etwa unsere Haltung zur NATO und ihren Angriffskriegen. Wie es unseren politischen Gegnern gelungen ist, „Die Linke“ als vaterlands- und verantwortungslose Gesellen darzustellen, das war schon beeindruckend. Aber wir haben es auch vernachlässigt, unsere Friedensposition so zu erklären, dass sie für breite Teile der Bevölkerung überzeugend ist.

UZ: War dieses Ergebnis für Sie absehbar?

Kathrin Vogler: Ich wusste, dass diese Wahl für „Die Linke“ als parlamentarische Kraft existenziell werden würde. Deswegen haben meine Genossinnen und Genossen und ich auch wochenlang bis zur Erschöpfung Wahlkampf gemacht und um jede einzelne Stimme gekämpft. Dass es so desaströs werden würde, konnten wir aber nicht erwarten.

UZ: Welche Rolle haben die politischen und persönlichen Verwerfungen innerhalb der Fraktion und der Partei dabei gespielt?

Kathrin Vogler: Vorweg: Dabei geht es mehr um politische und strategische Konflikte, die aber natürlich auch immer durch Personen verkörpert werden. Diese Konflikte haben dazu geführt, dass für viele Menschen nicht mehr klar erkennbar war, wo „Die Linke“ wirklich steht und welche Strategie sie verfolgt. Seit 2015 streiten Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht mit der Mehrheit unserer Partei öffentlich über unsere Asyl- und Migrationspolitik, die sie für zu liberal halten. Mit Wagenknechts neuestem Buch, das im April 2021 erschien, ist noch eine auch im Ton unnötig scharfe Kritik an ökologischen und (queer-)feministischen Forderungen, an Gewerkschaften und anderen Bündnispartnern dazu gekommen. Dieses Buch hat provoziert. Wer lässt sich schon gern als „Lifestyle-Linke“ beschreiben oder gar als „skurrile Minderheit“ mit ständiger Suche nach immer neuen Opfermerkmalen? Die solcherart Abqualifizierten fanden nun viele Gründe, warum sie „Die Linke“ nicht mehr wählen und schon gar nicht für sie werben konnten. Und ein von Anfang an aussichtsloser Ausschlussantrag verschreckte auf der anderen Seite diejenigen, die sonst vielleicht „wegen Sahra“ „Die Linke“ gewählt hätten. Alle anderen nahmen vor allem wahr: Der Laden ist gespalten und hat weder eine vernünftige Streitkultur noch eine gemeinsame inhaltliche Grundlage. Das waren keine guten Voraussetzungen, um im scharfen Gegenwind eines Lagerwahlkampfs Zulauf an der Wahlurne zu erhalten. Und damit sind wir auch schon bei einem der Hauptprobleme unserer Bundestagsfraktion: Seit Jahren können sich diejenigen, die den größten Krawall machen und am wenigsten konstruktive, sachorientierte Arbeit leisten, über die meiste Aufmerksamkeit, die meisten Ressourcen und die meisten Medienauftritte freuen. Wir hatten viele Jahre hindurch einen Schatz an hart und zuverlässig arbeitenden Abgeordneten, deren Kompetenzen aber nach innen nicht wertgeschätzt und für die Außendarstellung zu wenig genutzt wurden. Da wäre viel mehr drin gewesen.

UZ: Es wird immer deutlicher, dass „Die Linke“ in einer existenziellen Krise steckt. Ein erster Bundestagsabgeordneter aus dem Lager von Sahra Wagenknecht hat bereits mit seinem Fraktionsaustritt gedroht. Würden sich mehr als drei Abgeordnete zu diesem Schritt entschließen, würden Sie den Fraktionsstatus verlieren. Was macht Sie so sicher, dass es dazu nicht kommen wird?

Kathrin Vogler: Ich bin mir nur bei einem sicher: Wenn wir uns in dieser Situation von Einzelnen oder kleinen Grüppchen auch nur einmal erpressen lassen, dann wird das immer wieder versucht, und dann bekommen wir den nötigen Aufbruch zu mehr Gemeinsamkeit nicht hin. Deswegen bin ich da klar bei Gregor Gysi: Erpressungen darf man nicht durchgehen lassen.

UZ: Glauben Sie, dass es mit Blick auf eine zukünftige Neuaufstellung der Fraktion hilfreich ist, zum mittlerweile zigsten Mal auf Gregor Gysi oder auch auf Sahra Wagenknecht als Fraktionsvorsitzende zu setzen, wie erste Stimmen bereits fordern?

Kathrin Vogler: Gregor Gysi wird einfach aufgrund seiner Persönlichkeit immer eine wichtige Rolle in der Fraktion und in der Partei spielen, dafür braucht er keine Funktion. Und Sahra Wagenknecht hat immer wieder selbst gesagt, wie wenig ihr Führungsaufgaben liegen. Die beiden jetzt wieder in so eine Funktion zu drängen, erscheint mir nicht gerade logisch. Ich glaube, dass wir mit „Zurück in die Zukunft“ nicht weiterkommen. Wir brauchen eher neue Gesichter, Leute, die sich nicht schon zu PDS-Zeiten miteinander gezofft haben und die einen Aufbruch zu neuer Gemeinsamkeit verkörpern können.

UZ: Wie sollte sich „Die Linke“ denn positionieren, ginge es nach Ihnen?

Kathrin Vogler: Wir müssen eine neue Kultur nach innen und nach außen entwickeln, sonst sehe ich schwarz für die Zukunft: konstruktiv und sachorientiert streiten, Streitfragen abschließend klären und dann das Beschlossene auch gemeinsam nach außen vertreten, gegen alle Widerstände und Anfeindungen. Und vielleicht nicht über jedes Stöckchen springen, das uns unsere politischen Gegner hinhalten. Das wäre ein Ansatz, mit dem auch eine geschrumpfte Bundestagsfraktion eine Wirkung erzielen kann. Und dann können wir vielleicht auch etwas von der KPÖ Graz lernen: konsequenter und beharrlicher Einsatz für die Inte­ressen der Mieter und der finanziell benachteiligten Menschen, vor Ort sein und die Probleme mit anpacken. Das ist der harte Weg, aber er ist für eine linke Partei unerlässlich, wenn sie sich langfristig unabhängig davon machen will, was die bürgerlichen Medien über sie sagen und schreiben.

Das bedeutet auch, dass wir nicht nur eigene Themen setzen, sondern auch zu allen, die in der Öffentlichkeit diskutiert werden, mit einem linken, antikapitalistischen Fokus auftreten, ganz gleich, ob es um Gesundheit, Digitalisierung, Klima, Bildung oder die Verseuchung der Umwelt geht. Im Übrigen sind all diese Themen eng mit sozialen und Verteilungsfragen verstrickt. Wir wissen, dass der Kapitalismus nur funktioniert, solange er die Natur und die menschliche Arbeitskraft ausbeuten kann. Wirkliche Veränderung muss darauf zielen, dieses kranke System zu überwinden und eine Gesellschaft zu bauen, in der Menschen mehr sind als Arbeitskräfte und Konsumenten.

UZ: Und das halten Sie noch für realistisch?

Kathrin Vogler: Menschen haben diese Zustände gemacht, also können Menschen sie auch verändern. Vielleicht nicht in den nächsten vier Jahren, aber als Pazifistin denke ich sowieso mehr in Lebensaltern und als Marxistin weiß ich um die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus.

UZ: Haben Sie überhaupt genügend Zeit, die Verwerfungen in Partei und Fraktion aufzuarbeiten? Schließlich stehen in Ihrem Bundesland NRW im Mai Landtagswahlen ins Haus …

Kathrin Vogler: Irgendwo sind immer gerade Wahlen. Und uns ist allen bewusst, dass wir nur erfolgreich sein können, wenn wir unsere eigenen Fehler aufarbeiten und Konsequenzen ziehen.

UZ: Was erwarten Sie dann jetzt von Ihren Genossinnen und Genossen?

Kathrin Vogler: Es wäre ganz schön, wenn wir alle mal unsere Eitelkeiten zurückstellen und ein bisschen mehr auf unsere Genossinnen und Genossen an der Basis hören. Die müssen nämlich jeden Fehler, der oben gemacht wird, unten an den Stammtischen, in den Betrieben oder am Infostand ausbaden.

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"Nicht über jedes Stöckchen springen", UZ vom 15. Oktober 2021



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