Zu der friedenspolitischen Debatte in den Gewerkschaften

Nicht sinnvoll

Sie sprechen vom Frieden in der Ukraine und meinen Krieg gegen Russland. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass in Nachrichten- und Sondersendungen die Kriegshysterie geschürt wird. „Heute Journal“ und „Heute Show“ sind in der Seriosität ihrer Berichterstattung nur noch anhand des Sendetermins unterscheidbar. In den allabendlichen Talkshows geben sich Transatlantiker, Bandera-Sympathisanten und Menschenrechtsimperialisten die Klinke in die Hand. Es wird nicht darüber diskutiert, wie Frieden geschaffen werden kann, geschweige denn darüber, was die tieferen Ursachen des Krieges und deren Profiteure sind. Es geht einzig und allein um die Frage, wie Russland besiegt und dauerhaft geschwächt werden kann.

Im politischen Diskurs geht es schon lange nicht mehr um die Frage, ob Waffen an die Ukraine geliefert werden sollen, sondern nur noch darum, welche und wie viele. Die Regierung hat eine „Zeitenwende“ beschworen und ein gigantisches Aufrüstungsprogramm angekündigt. Aus der parlamentarischen Opposition war hierzu kaum Widerspruch zu hören.

Angesichts dieser dramatischen Verschiebung des politischen Koordinatensystems war der Blick in der vergangenen Woche voller Spannung auf den DGB-Bundeskongress gerichtet. Bisher war es Konsens unter Gewerkschaftern, dass Ausgaben für Bildung, Gesundheit und Soziales bessere Investitionen sind, als das Geld für Panzer und Kampfjets auszugeben. In den 1950er Jahren war der DGB entschiedener Gegner der Wiederaufrüstung und stand in den 1980er Jahren an der Spitze der Friedensbewegung gegen die NATO-Hochrüstung. Dass sich angesichts des politischen Klimas die 400 Delegierten des 22. Ordentlichen DGB-Bundeskongresses unter der Losung von Karl Liebknecht „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ versammeln würden, war sicher nicht zu erwarten. Aber die Hoffnung war da, dass zumindest die Aufrüstungspläne in Form eines 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens und dem 2-Prozent-Ziel der NATO für Rüstung auf Ablehnung stoßen würden. Nach einer mehrstündigen Debatte wurde zwar Kritik am geplanten Sondervermögen für die Bundeswehr geübt, eine klare Ablehnung aber vermieden. Die Delegierten stimmten mehrheitlich für eine Formulierung, nach der eine Orientierung an abstrakten Summen wie bei dem geplanten Sondervermögen „nicht sinnvoll“ sei. Sie werde „kritisch beurteilt“, hieß es im beschlossenen Initiativantrag. Ein Teilerfolg war sicherlich der Beschluss, dass der DGB die Bundesregierung auffordert, nicht daran festzuhalten, den Rüstungshaushalt dauerhaft auf das 2-Prozent-Ziel der NATO aufzustocken. Relativiert wird dies allerdings durch das Wort „dauerhaft“, was die aktuelle Aufrüstung oder eine Aufrüstung beim nächsten Krieg, dann wahrscheinlich gegen die Volksrepublik China, nicht ausschließt.

Konsequenterweise findet sich im besagten Initiativantrag die Aussage, die Regierung müsse „einen substanziellen Beitrag zur Verteidigungsfähigkeit im Rahmen von NATO und EU leisten“. Ob diese „Verteidigung“ dann am Hindukusch, in Mali, am Horn von Afrika oder in Form des Stellvertreterkriegs in der Ukraine stattfindet, geht aus dem Antrag nicht hervor. Die Neujustierung des DGB in der Friedensfrage ist ernüchternd, aber aufgrund der Stimmung im Land nicht wirklich überraschend. Es bleibt die Hoffnung, dass im Herbst, wenn immer mehr Kolleginnen und Kollegen in Folge von Krise und Krieg die Wahl zwischen Hungern oder Frieren haben, niemand mehr nach Beschlüssen fragt. Dann zählt nur noch die gemeinsame politische Praxis.

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"Nicht sinnvoll", UZ vom 20. Mai 2022



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