Gegen schlechte Stimmung im Land sollen alle gemeinsam anpacken

Nicht schon wieder

Kolumne

„Deutschland ist ein starkes Land, das aktuell vor großen Herausforderungen steht“, sagte der Kanzler nach dem Industriegipfel in Berlin. Spitzen aus Konzernen, Industrieverbänden und Gewerkschaften – darunter IG-Metall-Chefin Christiane Benner und DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi – hatten sich auf Einladung von Olaf Scholz im Kanzleramt getroffen. Der Sozialdemokrat beschrieb die Aufgabenstellung: „Jetzt geht es darum, gemeinsam anzupacken und mit einem Pakt für die Industrie, der sehr konkrete Maßnahmen umfasst, den Standort zu stärken.“ Wie dieser Pakt konkret aussehen werde, darüber verloren die exklusiven Gäste in der Öffentlichkeit kaum ein Wort.

Der Gipfel kam nicht überraschend. Seit Wochen findet in Börsenblättern wie dem „Handelsblatt“ das große Klagen über die wirtschaftliche Krise und die fehlende Kohle für die Profite der deutschen Banken und Konzerne statt. Leitmedien und Finanzminister Lindner überbieten sich mit Spar- und Kürzungsvorschlägen. Sie wollen allen Ernstes weismachen, dass kein Geld da ist für Infrastruktur, Bildung, Gesundheit, Heizung und Soziales – oder gar für „Bürgergeld“. Der Abgesang auf den Sozialstaat und das Festhalten am Investitionsverbot namens Schuldenbremse hallt aus einer Echokammer, an deren Ende sich keine Perspektive aufzeigt, für welche das Monopolkapital bereit wäre, eine Überbrückung zu finanzieren – No fun, no risk.

„Wir müssen gemeinsam rauskommen aus dieser unguten Lage, in der schlechte Zahlen zu schlechter Stimmung führen – und schlechte Stimmung zu noch mehr schlechten Zahlen“, so der SPD-Kanzler weiter. Wie dieses „gemeinsam“ aussieht, kann auf der Lohnabrechnung am Beispiel der Versicherungsbeiträge nachgelesen werden – sofern man einzahlen muss. Scholz weiß sicherlich selbst, dass es nicht die Stimmung ist, die so schlechte Zahlen macht, sondern die Sackgasse, in die die deutsche Automobilindustrie mit Blick auf schnelle Profite hineingerast ist. Für die schlechte Stimmung sind die hohen Energiekosten und die damit verbundenen Teuerungen verantwortlich, die seit dem Embargo gegen Russland und dem Handelskrieg gegen China für alle spürbar sind – nun auch für das Monopolkapital.

Wie also rauskommen aus dieser Misere – ohne Geld, ohne funktionierende Infrastruktur und mit so viel schlechter Stimmung? Weil das Existenzminimum des Autokonzerns dort anfängt, wo die Konzernleitung mit Standortschließung droht, haben DGB-Vorsitzende Fahimi und IG-Metall-Chefin Benner eine Idee, die ganz im Inte­resse von diesem „gemeinsam“ ist: Förderung der E-Mobilität und Verlängerung der Kaufprämie. Kaum ist der Vorschlag ausgesprochen, hatte Trump schon den Handelskrieg gegen deutsche Autos verkündet und baut der chinesische Hersteller BYD schon seine erste EU-Produktion im ungarischen Szeged. Doch ohne „Weiter so“ aus der Industrierunde könnte die schlechte Stimmung befeuert werden. Benner mimt also den Kanzler und fordert von der Runde, die fernab der Öffentlichkeit tagt, „konkrete Maßnahmen, die das klare Signal senden, wir haben verstanden und wir wissen, was für Industrie und Industriearbeitsplätze zu tun ist“.

Koalitionsstreit und Industriegipfel stinken nach Konzertierter Aktion, also dem Gleichschritt von Kapital, Staat und Gewerkschaften. Statt zum Beispiel ein Steuersystem zu fordern, das die Vermögenden in die Pflicht nimmt, setzen die Gewerkschaftsspitzen aufs Füßestillhalten. Wohin das führt, kann jeder an der Lohnentwicklung der letzten Jahre erkennen und auch an den aktuellen Kürzungsplänen bei VW. Dabei ist in der laufenden Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie sowie ab Jahreswechsel im öffentlichen Dienst der Länder der Verteilungskampf in den Mittelpunkt zu stellen – sonst gibt’s wirklich nichts zu holen.

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"Nicht schon wieder", UZ vom 8. November 2024



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