Nicht ohne die Töchter

Lars Mörking im Gespräch mit Martin Koerbel-Landwehr

Martin Koerbel-Landwehr

Martin Koerbel-Landwehr

UZ-Interview mit Martin Koerbel-Landwehr, Personalratsvorsitzender am Uniklinikum Düsseldorf (UKD)

UZ: Ihr habt in der letzten Woche am Uniklinikum Düsseldorf 24 Stunden für einen Tarifvertrag Entlastung gestreikt. Wie sind die Arbeitsbedingungen bei euch und was wollt ihr durch Abschluss eines Tarifvertrags zum Thema Entlastung ändern?

Koerbel-Landwehr: Die Belastung der Beschäftigten ist irre. In Folge der Einführung von Fallpauschalen (DRGs) wurde die Verweildauer der PatientInnen in den Krankenhäusern enorm verkürzt. Sie werden nach wenigen Tagen bereits verlegt oder entlassen, um neue PatientInnen aufzunehmen. Man spricht nicht umsonst von „blutiger Entlassung“. Der Schweregrad der behandelten Fälle hat ebenfalls zugenommen. Alleine im letzten Jahr gab es eine DRG-Erlössteigerung von über 5 Prozent.

Daneben hat auch die Zahl der PatientInnen in den Ambulanzen und der ambulanten Behandlungen, z. B. ambulantes Operieren oder ambulante Chemotherapie, enorm zugenommen. Die Zahl der Beschäftigten hat aber – mit Ausnahme bei den ÄrztInnen – nicht zugenommen. Auf einer Station werden in der Regel in allen Schichten rund um die Uhr 32 bis 36 schwerstkranke PatientInnen nur durch zwei Pflegekräfte betreut. Fällt eine KollegIn aus, werden Beschäftigte aus dem Frei geholt. Gelingt dies nicht, erfolgen Umsetzungen aus anderen Bereichen. Dabei ist es der Krankenhausleitung egal, dass diese sich nicht auskennen. In der Nacht muss dann auch schon mal alleine gearbeitet werden.

Dies hat natürlich Folgen für PatientInnen. Auf den Intensivstationen sind es statt der erforderlichen Betreuung von zwei PatientInnen bis zu vier PatientInnen, in Pausenzeiten (sofern diese überhaupt genommen werden) noch mehr. Überstunden, Überschreitung der täglichen Höchstarbeitszeit oder Nichteinhaltung der Ruhezeit zwischen den Schichten kommen auch nach Aussage des Arbeitgebers gegenüber der Aufsichtsbehörde regelmäßig vor. Gute Pflege ist da ein Fremdwort.

Im Patiententransport führt die mangelhafte Besetzung zu Wartezeiten der PatientInnen von bis zu zwei Stunden. Erst dann können sie zu Untersuchungen gebracht oder aus dem OP-Bereich abgeholt werden. In der Küche führt fehlendes Personal dazu, dass die Hygiene zu kurz kommt und notwendige Diät- und Ernährungsberatung nicht stattfinden kann. Dies sind nur einzelne Beispiele für die miserable Situation im Klinikum.

Es fehlen etwa 600 Beschäftigte in allen Arbeitsbereichen. Damit ist klar was wir wollen: Klare Regeln zur Mindestbesetzung in den verschiedenen Bereichen und einen Ausgleich für Belastungen, die trotzdem auftreten. Nicht durch mehr Geld, sondern z. B. durch zusätzliche Erholungszeiten.

UZ: Wie war die Beteiligung der Kolleginnen und Kollegen? Euer Streik hat laut „Rheinischer Post“ sogar dazu geführt, dass Operationen verschoben werden mussten. Kliniksprecher Stefan Dreising soll denn auch gleich von einem „Streik, ausgetragen auf dem Rücken der Patienten“ gesprochen haben.

Koerbel-Landwehr: Der Notdienst ist inzwischen die Regelversorgung. Alle sehen diese enorme Belastung, aber es ist für Klinikbeschäftigte ein riesiger Schritt, sich an einem Streik zu beteiligen. Daher haben viele ver.di-KollegInnen in den letzten Wochen durch vielfältige Informationen und Aktionen auf das Problem aufmerksam gemacht und zum Handeln aufgefordert. Der Arbeitgeber hat aber immer nur beschwichtigt und keine Maßnahmen zur Entlastung ergriffen. Daher blieb nur noch der Streik als letztes Mittel.

Mehrere hundert KollegInnen haben sich bei uns am Streik beteiligt. Es wären gerne viel mehr gewesen. Aber da wir die Versorgung der PatientInnen nicht gefährden wollten, konnten von den meisten Stationen keine KollegInnen teilnehmen. Mit weniger als zwei ausgebildeten Pflegekräften ist die Versorgung nicht zu leisten. Daher haben in erster Linie KollegInnen aus den OPs, der Anästhesie, den Ambulanzen, der Radiologie, den Versorgungsbetrieben, der Technik, der Betriebs-Kita und der Verwaltung gestreikt. Dies hat natürlich Auswirkungen auf den Betrieb gehabt, sonst macht ein Streik keinen Sinn. Etwa 30 Prozent der geplanten OPs konnten nicht durchgeführt werden. Patiententransporte wurden auf ein Minimum reduziert, geplante Untersuchungen verschoben und als Essen gab es nur einen Eintopf. Die OPs werden nachgeholt, der Streik führt aber zu einer ökonomischen Belastung des Arbeitgebers. Und genau das wollten und müssen wir erreichen.

UZ: Hat der Arbeitgeber sich zu euren Forderungen geäußert? Viele Krankenhäuser beklagen den Fachkräfte- bzw. Personalmangel ja selbst …

Koerbel-Landwehr: Bisher gibt es kein Entgegenkommen. In der Vergangenheit ist die Forderung nach der Reduzierung der Belastung, z. B. durch die Schließung von Stationen und Verteilung des Personals auf andere, belastete Bereiche, abgelehnt worden. Einstellungen zusätzlichen Personals finden nur auf der Führungsebene statt. Im Handwerker-Bereich oder in den Versorgungsbetrieben werden nicht einmal die ausgeschiedenen KollegInnen ersetzt.

Die Gewinnung neuer Pflegekräfte ist nicht das Problem. In diesem Jahr gab es schon mehr als 150 Einstellungen. Alle erhalten einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Das Problem ist, dass die KollegInnen trotzdem nicht bleiben. Bereits nach wenigen Monaten verlassen sie das Klinikum wieder, da sie unter den unerträglichen Bedingungen nicht arbeiten wollen. So haben auf einer Station in den letzten drei Jahren jeweils im Herbst bis zu sechs neue Pflegekräfte angefangen, nach sechs Monaten war nur noch eine Kollegin übrig.

Andere reduzieren ihre Arbeitszeit, um die Belastung zu senken oder sich eine andere Perspektive zu eröffnen, z. B. durch ein Studium. Alleine im letzten Jahr gab es über 1 200 Teilzeitanträge. Auch die eigenen Auszubildenden bleiben trotz unbefristeter Übernahme häufig nicht.

UZ: An eurer Seite haben Kolleginnen und Kollegen gestreikt, die bei den Tochtergesellschaften des Uniklinikums – UKM (Universitätsklinikum Düsseldorf Medical Services) und GKD (Gesellschaft für klinische Dienstleistungen) – beschäftigt sind. In welchen Bereichen arbeiten die Kolleginnen und Kollegen der Tochtergesellschaften und wie sind die Arbeitsbedingungen dort?

Koerbel-Landwehr: Die Tochtergesellschaften wurden gegründet, um bei den Löhnen zu sparen. Es trifft in erster Linie KollegInnen in den Bereichen Reinigung, Transportdienst, Wäscherei, Sicherheitsdienst und Pforten, Patientenservice oder in der Zentral­sterilisation. Aber auch Handwerker, DV-Kräfte und Architekten werden dort beschäftigt. Es gibt bisher keinen ver.di-Tarifvertrag, nur für die Reinigungskräfte gilt der Mindestlohn der IG BAU.

Die anderen verdienen nach „Marktlage“, d. h. in der Wäscherei und Zentralsterilisation sind es etwa monatlich 400 bis 700 Euro weniger als bei den dort tätigen UKD-Beschäftigten. Betriebliche Altersversorgung oder Weihnachtsgeld sind ein Fremdwort. Befristete Verträge und Zwangsteilzeit sind bei Neueinstellungen die Regel. Wer nicht spurt oder krank wird verliert seinen Arbeitsplatz, erhält keine Verlängerung. Inzwischen haben aber mehr als die Hälfte der Beschäftigten unbefristete Verträge, da sachgrundlose Befristungen nicht unendlich möglich sind. Man braucht gerade in spezialisierten Bereichen eingearbeitete Kräfte.

UZ: Wenn die Bedingungen und Arbeitsbereiche zwischen Klinikum und Tochtergesellschaften so unterschiedlich sind, wie habt ihr es dann geschafft, dass gemeinsam gestreikt wurde?

Koerbel-Landwehr: Auch bei UKM und GKD sind die Belastung und der Arbeitsdruck riesig. Um nur ein Beispiel zu nennen: Krankenwagen können nach dem Transport von infektiösen PatientInnen nicht einmal desinfiziert werden. Inzwischen haben sich viele KollegInnen in ver.di organisiert. Es hat bereits sechs Warnstreiktage in den Töchtern gegeben, um dort auch den TV-L (Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst der Länder, Anm. UZ) zu vereinbaren. Aber der Vorstand des UKD hat bisher alle Verhandlungen verhindert, da er sein Sparmodell erhalten will. Damit war klar, dass man nur etwas erreicht, wenn man gemeinsam aktiv wird. Auch die Beschäftigten des UKD wollen die ungleiche Behandlung nicht weiter hinnehmen. Sie erleben täglich, dass von allen die gleiche schwierige Arbeit verlangt wird, aber Beschäftigte ungleich entlohnt und behandelt werden.

UZ: Wie geht es nun weiter? Der Arbeitskampf an der Berliner Charité hat ja gezeigt: Es braucht einen langen Atem und eine hohe Konfliktbereitschaft, um so einen Kampf durchzuhalten.

Koerbel-Landwehr: Auch uns ist klar, dass mit einem Streiktag noch kein Durchbruch erzielt wird. Wir werden deshalb weiter im Betrieb mobilisieren. Dabei sind weitere Streiktage nicht ausgeschlossen. Dann werden wir aber den ökonomischen Druck erhöhen und eventuell auch einzelne Stationen nach einer Ankündigung ganz bestreiken müssen.

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"Nicht ohne die Töchter", UZ vom 29. September 2017



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