Die MerkwĂŒrdigkeiten bei den Wahlen in den bedeutendsten imperialistischen Staaten nehmen zu. In den USA gewann ein Vertreter der groĂkapitalistischen Oligarchen die PrĂ€sidentenwahl, gestĂŒtzt auf eine bis dato schweigende Mehrheit von Arbeitern. Auch in Frankreich erhielt Marine Le Pen, aufgewachsen im Schloss eines MillionĂ€rs, Algerienkrieg-Mörders und Rassisten, vor allem in Regionen und Wahlbezirken viele Stimmen, wo die Arbeiter frĂŒher die Kommunisten stark gemacht hatten. Getoppt wurde das nun noch durch den Wahlsieg eines JungmillionĂ€rs, Finanzmaklers und GeschĂ€ftsmannes aus dem fĂŒr die französische Politikerkaste typischen Bourgeois-Milieu, der sich Ă€hnlich wie Trump zur ârevolutionĂ€ren Alternativeâ des Establishments erklĂ€rt, dem er selbst angehört.
Und bei uns donnert ein mit â100%igem SED-Ergebnisâ gewĂ€hlter Propagandist der âsozialen Gerechtigkeitâ binnen weniger Wochen aus dem siebten Politikerhimmel. An seinem Absturz wesentlichen Anteil hat ein bewusst unrasierter und auf betont jugendlich gestylter Politprofi aus der fast in der Versenkung verschwundenen Parteireserve der UnternehmerverbĂ€nde namens FDP, der dann im Bunde mit einem farblosen Allerweltspolitiker der CDU eine neue NRW-Landesregierung bildet. Und das im âStammlandâ- ja noch mehr â der âHerzkammerâ der (frĂŒheren) âArbeiterpartei SPDâ.
Wie konnte das alles geschehen? Ăber den Einbruch sozialreaktionĂ€rer, gewerkschafts- und arbeiterfeindlicher Parteien und Politiker in ehemals linkes/sozialdemokratisches StammwĂ€hlerpotential wird auch hierzulande heftig und genĂŒsslich anhand des Bestsellers âRĂŒckkehr nach Reimsâ des französischen Ex-Trotzkisten und Soziologieprofessors Didier Eribon schwadroniert. Am Ende so mancher Kommentare und Rezensionen der letzten Monate kommt hĂ€ufig folgende arrogant-dĂ€mliche Schlussfolgerung heraus: âDie Proletenâ handeln ja auch nur nach dem Motto âErst das Fressen, dann die Moralâ. Der Verlust von Klassenorientierung und einem sichtlich schizophrenen Wahlverhalten wird als ein neuer Triumph ĂŒber âdas Versagenâ speziell der Kommunisten sowie als âBeweisâ fĂŒr deren schon immer âunglaubwĂŒrdigeâ These von der âhistorischen Mission der Arbeiterklasseâ bespöttelt.
Nun wird dieses âPhĂ€nomenâ auch noch von einer âEliteâ europĂ€ischer und US-amerikanischer â[Links-]Intellektuellerâ begutachtet, darunter der fĂŒr âSpiegelââ und âZeitâ-Leser leidgeprĂŒfte âLeninistâ Slavoj Zizek, dessen wahrscheinlich nicht schlecht bezahlten, allwöchentlichen, âphilosophischen Kommentareâ ob ihres Zynismus oft nur gruseln lĂ€sst.
Eine wohltuende Ausnahme im Reigen der Wehklagen bildet der Aufsatz von Nancy Fraser, einer US-amerikanischen Soziologin. Sie fĂŒhrt das bestĂŒrzende US-Wahlergebnis nicht auf die pseudo-tiefenpsychologische Denkschablone âRegressionâ zurĂŒck wie etliche andere Ko-Autoren, sondern seziert messerscharf die bewusste Strategie der vom ClintonâObama-Clan politisch reprĂ€sentierten Teile des US-GroĂkapitals. Sie bringt es so auf den Punkt: âSeine (Clintons) Administration lieferte die amerikanische Wirtschaft an Goldman Sachs aus, deregulierte das Finanzwesen und schloss Freihandelsabkommen ab, die den Niedergang der alten Industrien beschleunigten. Unter die RĂ€der kamen dabei unter anderem die Regionen des âRust Beltâ â einst Hochburgen der New-Deal-Sozialdemokratie, heute die Bundesstaaten, die ihre WahlmĂ€nner fĂŒr Donald Trump stimmen lieĂen.â
Das gegen die eigenen objektiven Interessen gerichtete Wahlverhalten der Arbeiter hat also weniger mit einer âRegressionâ zu frĂŒhkindlichen, infantilen Verhaltensmustern zu tun, sondern mit einer spontanen und politisch hilflosen Verweigerung und âBestrafungâ der Clintons und Obamas. Und in Europa lĂ€uft es Ă€hnlich. Die âSozisâ haben ganz einfach die Quittung ihres WĂ€hlerklientels erhalten, die sie verdient haben.