Nicht nur Regression

Hans-Peter Brenner zur Quittung für die „Sozis“

Hans-Peter Brenner ist stellvertretender Vorsitzender der DKP

Hans-Peter Brenner ist stellvertretender Vorsitzender der DKP

Die Merkwürdigkeiten bei den Wahlen in den bedeutendsten imperialistischen Staaten nehmen zu. In den USA gewann ein Vertreter der großkapitalistischen Oligarchen die Präsidentenwahl, gestützt auf eine bis dato schweigende Mehrheit von Arbeitern. Auch in Frankreich erhielt Marine Le Pen, aufgewachsen im Schloss eines Millionärs, Algerienkrieg-Mörders und Rassisten, vor allem in Regionen und Wahlbezirken viele Stimmen, wo die Arbeiter früher die Kommunisten stark gemacht hatten. Getoppt wurde das nun noch durch den Wahlsieg eines Jungmillionärs, Finanzmaklers und Geschäftsmannes aus dem für die französische Politikerkaste typischen Bourgeois-Milieu, der sich ähnlich wie Trump zur „revolutionären Alternative“ des Establishments erklärt, dem er selbst angehört.

Und bei uns donnert ein mit „100%igem SED-Ergebnis“ gewählter Propagandist der „sozialen Gerechtigkeit“ binnen weniger Wochen aus dem siebten Politikerhimmel. An seinem Absturz wesentlichen Anteil hat ein bewusst unrasierter und auf betont jugendlich gestylter Politprofi aus der fast in der Versenkung verschwundenen Parteireserve der Unternehmerverbände namens FDP, der dann im Bunde mit einem farblosen Allerweltspolitiker der CDU eine neue NRW-Landesregierung bildet. Und das im „Stammland“- ja noch mehr – der „Herzkammer“ der (früheren) „Arbeiterpartei SPD“.

Wie konnte das alles geschehen? Über den Einbruch sozialreaktionärer, gewerkschafts- und arbeiterfeindlicher Parteien und Politiker in ehemals linkes/sozialdemokratisches Stammwählerpotential wird auch hierzulande heftig und genüsslich anhand des Bestsellers „Rückkehr nach Reims“ des französischen Ex-Trotzkisten und Soziologieprofessors Didier Eribon schwadroniert. Am Ende so mancher Kommentare und Rezensionen der letzten Monate kommt häufig folgende arrogant-dämliche Schlussfolgerung heraus: „Die Proleten“ handeln ja auch nur nach dem Motto „Erst das Fressen, dann die Moral“. Der Verlust von Klassenorientierung und einem sichtlich schizophrenen Wahlverhalten wird als ein neuer Triumph über „das Versagen“ speziell der Kommunisten sowie als „Beweis“ für deren schon immer „unglaubwürdige“ These von der „historischen Mission der Arbeiterklasse“ bespöttelt.

Nun wird dieses „Phänomen“ auch noch von einer „Elite“ europäischer und US-amerikanischer „[Links-]Intellektueller“ begutachtet, darunter der für „Spiegel“– und „Zeit“-Leser leidgeprüfte „Leninist“ Slavoj Zizek, dessen wahrscheinlich nicht schlecht bezahlten, allwöchentlichen, „philosophischen Kommentare“ ob ihres Zynismus oft nur gruseln lässt.

Eine wohltuende Ausnahme im Reigen der Wehklagen bildet der Aufsatz von Nancy Fraser, einer US-amerikanischen Soziologin. Sie führt das bestürzende US-Wahlergebnis nicht auf die pseudo-tiefenpsychologische Denkschablone „Regression“ zurück wie etliche andere Ko-Autoren, sondern seziert messerscharf die bewusste Strategie der vom Clinton–Obama-Clan politisch repräsentierten Teile des US-Großkapitals. Sie bringt es so auf den Punkt: „Seine (Clintons) Administration lieferte die amerikanische Wirtschaft an Goldman Sachs aus, deregulierte das Finanzwesen und schloss Freihandelsabkommen ab, die den Niedergang der alten Industrien beschleunigten. Unter die Räder kamen dabei unter anderem die Regionen des ‚Rust Belt‘ – einst Hochburgen der New-Deal-Sozialdemokratie, heute die Bundesstaaten, die ihre Wahlmänner für Donald Trump stimmen ließen.“

Das gegen die eigenen objektiven Interessen gerichtete Wahlverhalten der Arbeiter hat also weniger mit einer „Regression“ zu frühkindlichen, infantilen Verhaltensmustern zu tun, sondern mit einer spontanen und politisch hilflosen Verweigerung und „Bestrafung“ der Clintons und Obamas. Und in Europa läuft es ähnlich. Die „Sozis“ haben ganz einfach die Quittung ihres Wählerklientels erhalten, die sie verdient haben.

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"Nicht nur Regression", UZ vom 26. Mai 2017



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