Graphic Novel über Beate und Serge Klarsfeld

Nicht nur eine Ohrfeige

16. Bundesparteitag der CDU, 7. November 1968: eine junge Frau schmuggelt sich durch die Absperrungen in die Halle und schafft es bis zum Präsidium. Dort angekommen, ohrfeigt Beate Klarsfeld den Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger und nennt ihn das, was er war: Nazi. Wie es sich für einen Comic gehört, macht es in der Graphic Novel „Beate und Serge Klarsfeld – Die Nazijäger“ von Pascal Bresson und Sylvain Dorange an der Stelle auch richtig schön „Klatsch!“.

Diese wohl in Deutschland bekannteste Aktion nehmen Bresson und Dorange in ihrer auf dem Buch „Erinnerung“ von Serge und Beate Klarsfeld beruhenden Graphic Novel zum Ausgangspunkt, um über das Leben und den Kampf der Nazijäger zu erzählen.
Auffallendstes Stilmittel auf den ersten Blick: die Farben. Die fortlaufende Geschichte ist in gedeckten Braun- und Rottönen gehalten, selten springt einem ein bunter Blumenstrauß ins Auge, die Erinnerungen und Rückblicke sind grau: Ein warmes Grau mit beigen Untertönen, wenn es sich zum Beispiel um eine Erinnerung an die erste Begegnung der Klarsfelds handelt, ein kaltes Grau mit blauen Untertönen, wenn es Rückblicke auf die Naziverbrechen gibt.

Um für die Opfer dieser Verbrechen wenigstens einen Hauch von Gerechtigkeit zu erlangen, haben Beate und Serge Klarsfeld mehr getan als die dreckige Vergangenheit Kiesingers auszugraben und mit einem fetten Klatsch ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen. Mit akribischen Recherchen fanden sie die Aufenthaltsorte derer heraus, die trotz ihrer Verbrechen von der Justiz unbehelligt ihr Leben lebten, in Deutschland und in Südamerika. In der Graphic Novel bezeichnet Serge Klarsfeld es als ein „Zeichen des Schicksals“, dass er, ein französischer Jude, dessen Vater in Auschwitz ermordet wurde, und eine deutsche Au-Pair in Paris, die kaum etwas über die Nazi-Vergangenheit wusste, sich ausgerechnet an dem Tag begegneten, als die Israelis Eichmann in Buenos Aires aufgespürt haben.

Die Graphic Novel begleitet Beate und Serge Klarsfeld bei ihren Aktionen in Deutschland wie vor dem Haus von Herbert Hagen oder der gescheiterten Entführung von Kurt Lischka. An Lischka führte Serge Klarsfeld später eine Scheinexekution durch: „Meine Waffe war nicht geladen, aber Lischka hat dem Tod ins Auge gesehen.“ Zuvor hatte er an den Bürgermeister der Stadt Köln, in der Lischka lebte, geschrieben, dass er diese Nazis jederzeit töten könne, um seine eigenen Gerechtigkeit herzustellen. 1979 werden Herbert Hagen, Kurt Lischka und Ernst Heinrichsohn wegen Beihilfe zum Mord zu zwölf, zehn und sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Serge Klarsfeld hatte die französischen Nebenkläger vertreten.

Der vermutlich größte Erfolg für die Klarsfelds war vermutlich die Auslieferung und spätere Verurteilung von Klaus Barbie, dem Schlächter von Lyon. Der war 1951 mit Hilfe der USA über die „Rattenlinie“ nach Bolivien ausgewandert. Die dortige Regierung nahm sein dreckiges Wissen über „Partisanenabwehr“ gern in Anspruch, als Che Guevara auftauchte, und machte ihn zum Oberstleutnant ad honorem als Ausbilder und Berater der Sicherheitskräfte des Diktators Hugo Banzer Suárez. 1966 war Barbie Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes und schrieb Berichte über Lateinamerika.

Beate Klarsfeld reiste zweimal nach Bolivien, um Barbie aufzuspüren und seine Auslieferung zu erwirken, eine gemeinsam mit Régis Debray und dem späteren Stellvertretenden Innenmister Frankreichs, Gustavo Sánchez Salazar, geplante Entführung scheiterte, die Auslieferung fand erst 1983 statt. In einem 1987 eröffneten Prozess lautete das Urteil für Klaus Barbie, der zuvor schon zwei Mal in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden war, lebenslange Haft. Vier Jahre später starb er im Gefängniskrankenhaus.

So sehens- und lesenswert diese Grafic Novel auch ist, weist sie leider einige Schwächen auf, und das erstaunlicherweise trotz des Themas im Bereich Politik. So sagt Beate Klarsfeld zum Beispiel über die Wahl Kiesingers zum Bundeskanzler: „Den Bonner Abgeordneten ist nicht bewusst, was sie da tun!“ Das zeugt zumindest von hochgradiger Naivität. An anderer Stelle, in der es um die Kandidatur Klarsfelds in Kiesingers Wahlkreis für die „Aktion Demokratischer Fortschritt“ geht, teilt eine Fußnote lapidar mit, diese sei „extrem links“, die NPD „rechtsextrem“. So ist dann auch noch schnell ein bisschen Totalitarismustheorie untergebracht, auch wenn an anderen Stellen deutlich wird, dass es die kapitalistischen Staaten waren, die kein Interesse daran hatten, Naziverbrechen zu verfolgen. Und eine ganze Seite Beate Klarsfelds schlechtem Gewissen zu widmen, dass sie Mann und Sohn die Wäsche nicht waschen kann, während sie im Ausland Nazis jagt, ist schlicht überflüssig.


4916 Comic 2 - Nicht nur eine Ohrfeige - Antifaschismus, Literatur - Die letzte Seite

Pascal Bresson / Sylvain Dorange
Beate und Serge Klarsfeld – Die Nazijäger
Carlsen Graphic Novel
198 Seiten mit Fotoanhang, 28 Euro

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"Nicht nur eine Ohrfeige", UZ vom 10. Dezember 2021



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