IG-Metall-Vorstand diskutiert über Entsorgung von Friedenspositionen. Kolleginnen sagen Nein

Nicht in unserem Namen

IG Metall

Positionieren sich die Gewerkschaften an der Seite der Friedensbewegung – oder gelingt es der Führung, die NATO-Linie durchzusetzen? Seit Ende März kursiert in Gewerkschaftskreisen ein Dokument, das als Beschluss des IG-Metall-Vorstands ausgewiesen wurde. Darin wird festgestellt, dass friedenspolitische Beschlüsse der Gewerkschaften unter anderem zu Waffenlieferungen in Kriegsgebiete durch den Krieg in der Ukraine in Frage gestellt seien. Gewarnt wird unter anderem davor, das russische Narrativ eines Stellvertreterkrieges des Westens zu bedienen. Auf Nachfrage von UZ bei der IG Metall bestätigte deren Pressesprecherin Alina Heisig, dass das Papier „Sicherheit und Frieden in der Zeitenwende“ vom Vorstand diskutiert worden sei. Es handele sich allerdings „nicht um einen Vorstandsbeschluss, sondern eine Position“. In dem von der Pressestelle zugesandten Dokument fehlte dann auch der Hinweis auf eine Beschlusslage, der zuvor in der Fußzeile stand. Da das Papier bisher noch nicht veröffentlicht ist, bilden wir es hier vollständig ab. Dazu dokumentieren wir zwei Reaktionen von Kolleginnen der IG Metall – zur Nachahmung empfohlen.

Seit über einem Jahr tobt der Krieg in der Ukraine. Mit seinem völkerrechtswidrigen Überfall hat Putins Russland eine zuletzt ohnehin poröse europäische Architektur für Frieden und Sicherheit fundamental ins Wanken gebracht. Die Vorgeschichte dieses Kriegs reicht weit über das Jahr 2014 und die Annexion der Krim hinaus, sie ist vielschichtig und komplex. Zu Recht haben wir auf dem Ordentlichen Bundeskongress des DGB darauf verwiesen, als Gewerkschaftsbewegung selbstkritisch „auch das sicherheitspolitische Verständnis der westlichen Staatengemeinschaft gründlich (zu) reflektieren“. Die NATO-Osterweiterungen, die fehlende Weiterentwicklung einer europäischen Sicherheitsarchitektur, der stockende Prozess von Abrüstungsverhandlungen und nicht zuletzt die Kündigung des INF-Vertrags durch den damaligen US-Präsidenten Trump sollten ein wesentlicher Teil dieser Betrachtung sein.

Tatsache bleibt: Mit dem imperialistisch motivierten Krieg Russlands gegen die Ukraine sind die Grundfesten der Nachkriegsordnung Europas in Frage gestellt. Die russische Führung hat Tod, Leid und Zerstörung über die Zivilbevölkerung gebracht, tagtäglich werden schwerwiegende Verbrechen gegen universelle Menschenrechte verübt. Eine eigenständige ukrainische Identität wird negiert. Umso wichtiger ist es, nicht auch noch das russische Narrativ eines Stellvertreterkriegs des Westens zu bedienen.

Wir unterstützen alle Forderungen an die russische Regierung, alle Kampfhandlungen unverzüglich einzustellen und ihre Truppen zurückzuziehen. Unser aller Ziel muss zugleich darin bestehen, mit Nachdruck nach diplomatischen Lösungen zu suchen, sie von den wesentlichen Akteuren der internationalen Staatengemeinschaft einzufordern, um einen schnellstmöglichen Waffenstillstand zu ermöglichen. Alle internationalen Möglichkeiten, Strukturen und Kanäle sind zu nutzen, um den Druck zu erhöhen, damit es zu Verhandlungen für Frieden kommt. Frieden kann nicht auf dem Schlachtfeld erreicht werden.

Zugleich haben wir uns auf dem Ordentlichen Bundeskongress dazu bekannt, dass Deutschland, die EU und die NATO-Verbündeten in der Verantwortung stehen, „umfassende Hilfe für die Ukraine zu leisten und dabei auch zu ihrer Fähigkeit beizutragen, ihr Recht auf Selbstverteidigung wirksam wahrzunehmen“. Das ist ein impliziter Verweis auf Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Ebenso klar sollte dabei allerdings auch sein: Die Rüstungsspirale darf sich nicht endlos weiterdrehen, der Konflikt nicht noch weiter eskalieren. In den letzten Wochen beschleunigte sich die Debatte um Für und Wider sowie Reichweite von Waffenlieferungen. Unmittelbar nach Zusage von Panzerlieferungen wurden Kampfflugzeuge und noch weitreichendere Offensivwaffen gefordert.

Ein nachhaltiger Frieden kann nur gefunden werden, wenn die Ukraine den Krieg nicht verliert. Ein Einknicken gegenüber Russland könnte verheerende Auswirkungen für die Sicherheit Europas haben. Putin wird sich perspektivisch nicht mit der Ukraine begnügen. Die Kosten weiterer Aggressionen wären unermesslich höher. Ökonomisch. Sozial. Gesellschaftlich. Ein „Siegfrieden“ im Sinne der Ukraine scheint nach aktuellen Maßstäben allerdings weit entfernt. Mit der Haltung, einer Friedenslösung erst nach Rückeroberung der Krim und des Donbass in seiner Gesamtheit zuzustimmen, schraubt die ukrainische Führung die Vorbedingungen für den Frieden in kaum erreichbare Höhen.

Als wesentlicher Arm der Friedensbewegung sollten sich die Gewerkschaften – ähnlich wie unlängst unter anderem von Jürgen Habermas gefordert – einen Mittelweg zu eigen machen: weder den Schritt zu einer aktiven Kriegsbeteiligung mit der damit einhergehenden, sich weiterdrehenden Eskalationsspirale zu gehen, noch die Ukraine letztlich ihrem eigenen Schicksal zu überlassen.

Sprich: Verhandlungsbereitschaft ist gefragt. Deutschland und Europa stehen dabei in der Verantwortung. Unter welchen Bedingungen und mit welchen Ansätzen? Dazu liegen verschiedene Vorschläge vor. Klar ist: Es braucht sowohl vertrauensbildende Maßnahmen als auch glaubhafte und wirksame Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Unsere Rolle als IG Metall kann und sollte weiterhin darin bestehen, Initiativen und Abkommen zur Rüstungskontrolle zu fordern, abrüstungspolitische Initiativen zu unterstützen, insbesondere gegen die weitere Verbreitung von atomaren, chemischen und biologischen Waffen – und klare Kriterien und Grenzen für Waffenlieferungen und die Rüstungsexportkontrolle zu benennen.

In diesem Zusammenhang müssen wir jedoch feststellen, dass die Beschlüsse auf dem 24. Ordentlichen Gewerkschaftstag sowie unsere gemeinsame Positionierung auf dem DGB-Bundeskongress durch den Ukraine-Krieg infrage gestellt und überprüft werden müssen. So schließt unsere eigene Beschlusslage Rüstungsexporte in Krisenregionen und kriegführende Staaten aus. Wir brauchen deshalb eine Verständigung über eine inhaltliche Schärfung unserer Positionen in dieser Frage. Darüber hinaus mussten wir in den vergangenen 13 Monaten feststellen: Es braucht Verständnis für einen erweiterten Begriff von Sicherheit. Das Streben nach Souveränität und Resilienz Europas ist elementar. Energie- und Rohstoffpolitik ist ein wesentlicher Aspekt von Sicherheitspolitik. Wir müssen uns auch damit befassen. Die klassische Verengung auf Friedenspolitik bzw. als friedenspolitischer Akteur trüge dem nicht Rechnung. Handels- und geopolitisch sehen wir auch im Fahrwasser des Ukraine-Kriegs eine globale Konfliktdynamik, insbesondere im Verhältnis zwischen den USA und China. Das nötigt auch uns auf, unsere handelspolitischen Positionen zu überdenken, jedenfalls klarzustellen. Zumal damit industrie- und infolgedessen beschäftigungspolitische Folgewirkungen verbunden sind.

Und es braucht eine Neuaufstellung und Revitalisierung der Friedensbewegung, zudem eine neue Architektur für Frieden und Sicherheit in Europa. Dabei wird es für uns Gewerkschaften herausfordernde Debatten geben, etwa um eine auch sicherheits- und verteidigungspolitische Integration im Sinne europäischer Souveränität. Das betrifft vor allem die Rüstungszusammenarbeit und die notwendige Ausrüstung der Bundeswehr, um ihren Verteidigungsauftrag erfüllen zu können. Wir halten an unserem Grundsatz fest, dass Rüstungsausgaben nicht gegen die Finanzierung wichtiger sozialpolitischer Vorhaben, wie etwa aktuell der Kindergrundsicherung, sowie notwendiger öffentlicher Investitionen zur Umsetzung der sozial-ökologischen Transformation ausgespielt werden dürfen.

Kurzum: Wir müssen uns unserer selbst und unserer Positionen vergewissern – ohne unsere grundsätzlichen Haltungen als friedenspolitischer Akteur infrage zu stellen.

Ohne Belege

IGM muss Teil der Friedensbewegung bleiben

Auch Anne Rieger, ehemalige Bevollmächtigte der IG Metall Waiblingen, wandte sich an den Vorstand ihrer Gewerkschaft. Sie ist erstaunt über einige Positionen, die die Gewerkschaftsführung bezieht. Der Beschluss des Gewerkschaftstages „Wir lehnen Waffenexporte in Krisen- und Konfliktgebiete (…) grundsätzlich ab“ würde in Frage gestellt. Sie schreibt weiter:

Der Gewerkschaftstag, das höchste Beschlussgremium, hat im Beschluss erläutert: „Deutschland braucht mehr zivile Strategien zur Friedenssicherung, die an den Ursachen von Kriegen und Konflikten ansetzen.“ Das muss unsere Aufgabe sein, über die Ursachen zu informieren.

Die IG Metall fordert „verstärkte Initiativen für Abrüstung und Rüstungskonversion und unterstützt deshalb die Petition ‚Abrüsten statt Aufrüsten‘“. Ihr sprecht von „herausfordernden Debatten für uns Gewerkschaften“ um „eine sicherheits- und verteidigungspolitische Integration im Sinne europäischer Souveränität“. Das betreffe vor allem die „notwendige Ausrüstung der Bundeswehr, um ihren Verteidigungsauftrag erfüllen zu können“. Was meint ihr damit? Zuerst werden deutsche Waffen in die Ukraine geliefert (…) und dann muss Ersatz erstellt werden, damit die Bundeswehr ihren „Verteidigungsauftrag erfüllen“ kann? Das ist keine Abrüstung. Damit wird an der Rüstungsspirale endlos weitergedreht.

Ich stimme euch zu, wenn ihr beschließt: „Frieden kann auf dem Schlachtfeld nicht erreicht werden.“ Ich stimme aber energisch gegen den Satz: „Frieden kann nur gefunden werden, wenn die Ukraine den Krieg nicht verliert.“ Damit sagt ihr indirekt, dass dieses Morden von jungen Menschen so lange weitergehen soll, bis die Ukraine auf dem Schlachtfeld gewinnt. Das bedeutet weiteres Töten, Zerstörung der Infrastruktur und Lebensgrundlagen der Ukrainerinnen und Ukrainer. Wir Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sind gegen das Morden. In unserer Satzung haben wir beschlossen: Die IG Metall setzt sich für „Frieden, Abrüstung und Völkerverständigung und den Schutz der natürlichen Umwelt zur Sicherung der Existenz der Menschheit ein“.

Wie kommt ihr zu der Annahme: „Putin wird sich perspektivisch nicht mit der Ukraine begnügen?“ Könnt ihr diese Meinung belegen? Ich finde nirgends einen Beleg dafür.

Unsere Aufgabe als Teil der Friedensbewegung muss es sein, auch auf die deutsche Regierung, auf Kanzler Scholz einzuwirken, sich als Friedensvermittler anzubieten, dass es zu einem sofortigen Waffenstillstand kommt, damit das Morden auf dem Schlachtfeld aufhört. Es darf nicht sein, dass eine deutsche Regierung mit Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet den Krieg weiterhin befeuert.

IG Metall
Bundesvorstand

Betrifft: Erklärung vom 20. März 2023: „Sicherheit & Frieden in der Zeitenwende“
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nachdem ich die Erklärung gelesen habe möchte ich dazu folgendes bemerken: gut ist, dass ihr im ersten Absatz darauf hinweist, dass der Krieg in der Ukraine eine Vorgeschichte hat und dabei auf die NATO-Osterweiterung verweist. Dass damit die NATO immer näher an die russische Grenze gerückt ist und mit der geplanten Aufnahme der Ukraine in die NATO und der Ankündigung, dort Atomwaffen zu stationieren, eine immer stärkere Bedrohungslage für Russland entstanden ist, scheint ihr dabei nicht zu sehen.
Die Bundesrepublik war „Garantiemacht“ für das Minsk-II-Abkommen und hat sich in keiner Weise für die Aufnahme der dort vereinbarten Verhandlungen eingesetzt, sondern nur dafür gesorgt, dass die Zeit für eine weitere Aufrüstung der Ukraine genutzt wurde.
Im vierten Absatz sprecht ihr von der Hilfe für die Ukraine und ihr Recht auf Selbstverteidigung. Damit werden Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet gerechtfertigt.
Die DGB-Gewerkschaften haben sich immer als Teil der deutschen Friedensbewegung gesehen. Doch diese Friedensbewegung hat Waffenlieferungen immer abgelehnt.
Frieden schafft man nicht mit Waffen, sondern mit Verhandlungen. Im März 2022 hat der damalige israelische Premierminister Naftali Bennett sich um solche Verhandlungen bemüht und hätte sie auch positiv zu Ende führen können, hätte die westliche Seite mitgespielt, wie Bennett in einem Interview der Berliner Zeitung ausführt. Verschiedenste Länder haben seitdem Vorschläge und Vermittlerrollen angeboten. Ich habe nicht wahrgenommen, dass die Bundesregierung solche Initiativen unterstützt hätte.
Im fünften Absatz schreibt ihr, dass es Frieden nur geben könne, wenn die Ukraine den Krieg nicht verliert, und behauptet, Putin würde sich perspektivisch nicht mit der Ukraine begnügen. Dafür gibt es keine Belege.
Ja, wir brauchen dringend eine neue Friedens- und Sicherheitspolitik in Europa und dafür müssen Verträge vereinbart werden, vor allem mit Russland, denn auch diese Land hat berechtigte Sicherheitsinteressen, die nicht beinhalten, dass man ihnen Atomwaffen vor die Tür stellt.
Die deutsche Friedensbewegung hat sich auch immer für Abrüstung eingesetzt. Damit steht sie gegen die Rüstungsausgaben in Höhe von 2 Prozent des BIP, wie sie die Nato vorsieht, und gegen das 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr. Alle Rüstungsausgaben werden durch stärkere Belastungen der arbeitenden Bevölkerung und der Rentner finanziert. Diese Belastungen bedeuten auch immer weniger soziale Leistungen. Die Reichen in unserem Land bezahlen nicht für die Aufrüstung, sie profitieren davon, über die Gewinne der Rüstungskonzerne.
Wollen wir das als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter?
Wenn wir weiter Teil der Friedensbewegung bleiben wollen, heißt es doch eher, im Interesse der Beschäftigten: Keine Waffenlieferungen, besonders nicht in Kriegs- und Krisengebiete. Keine Aufrüstung und endlich Verhandlungen aufnehmen.
Mit freundlichem Gruß,
Marion Köster

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Nicht in unserem Namen", UZ vom 14. April 2023



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol LKW.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit