Muss man immer wieder an das Schweigen erinnern, das die Jahre nach den Zweiten Weltkrieg in Deutschland prägte? Ja, muss man, dringend sogar. Vor allem in Zeiten, in denen nach und nach die Geschichte umgeschrieben, der Faschismus auf den Holocaust reduziert und die Schuld am Zweiten Weltkrieg gerne mal der Sowjetunion gegeben wird.
Ob da aber ausgerechnet eine Disney-Serie helfen kann? Die fünf Folgen der Mini-Serie „Deutsches Haus“ können es auf jeden Fall nicht. Doch übt die nach dem gleichnamigen Roman von Anette Hess gestaltete „Realfiktion“, die wie eine gut produzierte ARD-Serie daherkommt, eine gewisse Anziehung aus: Es ist wie ein Unfall, nicht schön, aber weggucken kann man auch nicht.
Frankfurt am Main, 1963, die junge Eva Bruhns (Katharina Stark), deren Eltern die Gaststätte „Deutsches Haus“ betreiben, wird – mehr oder weniger durch Zufall – Übersetzerin im ersten Auschwitz-Prozess, denn sie ist gelernte Dolmetscherin für Polnisch. Jung und naiv, weiß sie nicht, worum es bei dem Prozess geht, übersetzt dann auch „Gefangener“ mit „Gast“ und „erstickt“ mit „erleuchtet“. Da es keinen Ersatz gibt und ihr Polnisch schlagartig besser wird, als sie den Kontext der zu übersetzenden Aussagen kennenlernt, bleibt sie nach der ersten verunfallten Übersetzung. Eva lernt die Staatsanwälte und die Gräuel von Auschwitz kennen und wird von Prozesstag zu Prozesstag misstrauischer. Den Eltern passt es gar nicht, dass sie für die Staatsanwaltschaft arbeitet, richtig regt sich aber vor allem ihre Schwester Annegret (Ricarda Seifried) auf – nicht nur über Evas Job, sondern über den Prozess an sich.
So eine Serie kommt nicht ohne persönliche Geschichten aus – doch in „Deutsches Haus“ sind sie so mit dem Hauptgegenstand der Serie verwickelt, dass es ans Absurde grenzt. Natürlich löst der reiche Kaufhauserbe Jürgen Schoormann die Verlobung mit Eva, weil sie einfach arbeitet, obwohl er es untersagt hat, natürlich haben seine Probleme mit Sex was mit dem deutschen Faschismus zu tun. Und natürlich haben auch Evas Eltern kein allgemeines Bedürfnis, das Schweigen über die deutschen Verbrechen weiter zu hüten (sonst müsste man ja fragen, woher das kommt), sondern ein persönliches. Je länger sich Eva mit Auschwitz beschäftigt, desto mehr Erinnerungsbilder tauchen in ihr auf. Und wer hätte es gedacht, der brave Familienvater Ludwig Bruhns (Hans-Jochen Wagner) hat, bevor er das „Deutsche Haus“ übernahm, das Casino in Auschwitz geführt, Eva hat die ersten Jahre ihres Lebens dort verbracht. Und wenn das kleine Mädchen zu Weihnachten schöne Locken wollte, hat das natürlich der KZ-Häftling übernommen, der als Lagerfriseur arbeiten musste.
Dazu kommen weitere (Seiten-)Geschichten wie die um Schoormanns Vater Walther (Henry Hübchen), der zwar als Kaufhausbesitzer reich, aber auch Kommunist und vor Folter verrückt geworden ist. Die um Annegret, die ihr Kindheitstrauma aus Auschwitz darin auslebt, als Säuglingspflegerin Babys erst krank zu machen und dann gesund zu pflegen und die Geschichte um die Tochter (Runa Greiner) von Wilhelm Boger (Heiner Lauterbach), die sich ausgerechnet von dem Sohn italienischer Eisdielenbesitzer schwängern lässt. Als sie erfährt, was ihr Vater in Auschwitz getan hat, will sie das Kind nicht mehr zur Welt bringen.
In dieser Aneinanderreihung von Küchenpsychologie und Absurditäten gehen gute Szenen leider fast unter. Die Aussagen etwa, die den Protokollen des Auschwitz-Prozesses entnommen sind. Oder die Widerlichkeit des Verteidigers der Nazi-Schlächter (Sabin Tambrea). Oder die Szene, die sich abspielt, als Eva nach Polen reist, um den Lagerfriseur wiederzufinden, der ihr als Kind die Locken gelegt hat. Er schickt sie weg. Als seine Tochter fragt, sagt er, „die“ (gemeint sind die Deutschen) hätten kein Recht, um Entschuldigung zu bitten, denn dabei gehe es nur um das eigene Gewissen. Daran, dass das bis heute so ist, ändern Serien wie „Deutsches Haus“ nichts.
Deutsches Haus
Nach dem Roman von Annette Hess
Regie: Isabel Prahl (Folgen 1 bis 3) und Randa Chahoud (Folgen 4 und 5)
Unter anderem mit Katharina Stark, Anke Engelke, Hans-Jochen Wagner, Heiner Lauterbach, Iris Berben und Henry Hübchen