Zur Berichterstattung über Tarifrunden

Nicht gewollt und nicht gekonnt

Kolumne

Irgendwann war es mit der Geduld der Kollegin aus Fürth vorbei. Sie rief in der Redaktion der „Nürnberger Nachrichten“ an und beschwerte sich über die negative Darstellung der Streiks in der Zeitung. Am Telefon wurde sie abgewimmelt, also ging sie persönlich hin und forderte, bei der Streikberichterstattung ein Mindestmaß an journalistischer Sorgfalt walten zu lassen. Dort erhielt sie die Antwort: „Wieso kommen Sie für so was extra her? Solche Anliegen werden nur per E-Mail bearbeitet.“ Ihrer Hartnäckigkeit ist es zu verdanken, dass zum letzten Streiktag zumindest einige Streikende zu Wort kamen.

Spätestens wenn man von einem Thema betroffen ist, wird einem klar, wie oberflächlich und fehlinformierend bürgerliche Berichterstattung ist. Als Beschäftigter im Öffentlichen Dienst muss man sich dann einiges zu den Tarifverhandlungen anhören. Von „Die Maßlosigkeit der ver.di-Bosse“ („Der Spiegel“) über „ver.di hat den Schuss nicht gehört“ („Rheinische Post“) bis zu „Millionen-Loch droht: Was die verdi-Forderung für eine Großstadt bedeutet“ („Bild“) war sich die Medienlandschaft in ihrer Empörung einig. Die FAZ titelte gar: „In welcher Welt lebt Verdi eigentlich?- Der Tarifstreit im öffentlichen Dienst wird zum großen Testfall für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wenn Solidarität noch etwas gilt, müssen die Gewerkschaften ihre Positionen überprüfen.“ Für welchen „Zusammenhalt“ sollen die Beschäftigen solidarisch nicht nur auf Lohn verzichten, sondern weiterhin die unbesetzten Stellen stopfen?

Das Niveau der Berichterstattung zu den Warnstreiks war unterirdisch und von Unkenntnis, Unwillen und Unverschämtheiten geprägt. Die „Tagesschau“-Redakteure verwechselten auch nach Wochen der Auseinandersetzung „Verhandlungsrunde“ und „Tarifrunde“ und berichteten, es habe auch bei der dritten „Tarifrunde“ des Öffentlichen Dienstes keine Einigung gegeben. Die armen Arbeitgeber hätten schließlich die Schlichtung anrufen müssen. „Der Spiegel“ suggerierte, es habe bereits vor der dritten Verhandlungsrunde ein Arbeitgeberangebot gegeben, was einfach falsch ist. In zunehmenden Maße informierten zudem die Verhandlungsführer der Gegenseite nicht nur verkürzt, sondern falsch. Dies wurde dann ungeprüft und unkritisch von den Medien übernommen. Besonders deutlich zeigte sich das beim Vorwurf der Unverhältnismäßigkeit von (Warn-)Streiks. Journalisten ignorierten dabei, dass die Gegenseite sich wochenlang weigerte, ein Angebot vorzulegen. All das hat System und zeugt von gigantischer Heuchelei: Das Streikrecht wird zwar abstrakt-theoretisch anerkannt, allerdings nur so lange, bis jemand davon Gebrauch macht! Wehe den Beschäftigten, die es wagen, ihr Streikrecht konkret in die Tat umsetzen: Geiselnahme wehrloser Fluggäste, Gefährdung todkranker Patienten oder Vernachlässigung kleiner Kinder wird gebrüllt. Ihr wollt streiken? Dann gilt in Deutschland mit seinem restriktiven Streikrecht ohnehin: Nur zu noch nicht tarifierten Themen, nicht aus politischen Gründen, nur nach Ablauf der Friedenspflicht und nicht während der Schlichtung. Über den engen Rahmen, den Beschäftigte haben, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, berichten Medien selten. Über die Macht der Gegenseite berichten sie nie.

Die großen Medienhäuser stehen in trauter Einmütigkeit auf der Seite „der Arbeitgeber“, in diesem Fall von Bund und Kommunen. Deren Pressestatements werden im Wortlaut abgedruckt. ver.di-Statements oder Zitate streikender Kolleginnen und Kollegen sind eine Seltenheit.

Schließlich ist es mit Blick auf die staatsbürgerliche Verantwortung der Medien angenehmer, leichter und standesgemäßer, die „Frau Innenministerin Faeser“ oder „Frau Oberbürgermeisterin Welge“ zu zitieren. Mit diesen Querulanten aus der Gewerkschaft möchte sich niemand so wirklich abgeben. Erst recht nicht mit den streikenden Arbeiterinnen und Angestellten.

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"Nicht gewollt und nicht gekonnt", UZ vom 28. März 2025



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