Die Bundesrepublik ist mit der „Ressource Spontaneität“ nicht gerade reich gesegnet. Ausgesprochen wurde diese Tatsache Mitte Februar auf dem vierten Leipziger Treffen der Sammlungsbewegung „Aufstehen“. Rund 200 Teilnehmer waren in den traditionsreichen Felsenkeller gekommen, in dem schon Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und Ernst Thälmann sprachen, um Bilanz zu ziehen. Die Aussage ist von großer Bedeutung, wenn es um die Frage der Änderung von politischen Kräfteverhältnissen geht. Friedrich Engels hatte daran keinen Zweifel gelassen: „Es gibt in der Politik nur zwei entscheidende Mächte: Die organisierte Staatsgewalt, die Armee, und die unorganisierte, elementare Gewalt der Volksmassen.“ (MEW 21, 431)
Die Perspektive von „Aufstehen“ kann uns als Kommunisten nicht gleichgültig sein. Auch wenn wir wissen, dass hier etwas von Oben aus der Taufe gehoben werden sollte, das nur überlebensfähig ist, wenn der politische Diskurs und die Praxis keinen Bogen um Klassen und Klassenverhältnisse machen und das Staatsverständnis nicht auf dem naiven Niveau der Führung der Linkspartei bleibt. Es kommt hinzu, dass „spontanes Wissen … keine stabile Bedeutung oder politische Bindung hat“ (Didier Eribon). Auch „Aufstehen“ kann nicht auf vermittelnde Theorie verzichten. Es geht nicht ohne Marxismus.
Von diesen Ansprüchen ist die Sammlungsbewegung weit entfernt und keiner weiß, ob sie sich verwirklichen lassen oder ob „Aufstehen“ im Sande verläuft. Die bürgerlichen Medien, aber auch die Linkspartei haben diesen Ansatz zur Entwicklung von Gegenmacht systematisch verunglimpft und behindert. Die DKP sollte sich an diesem Totengesang nicht beteiligen. Die Anfeindungen und Verleumdungen gegen „Aufstehen“ sind nicht zuletzt ein Zeichen von Wirksamkeit. Wir sollten würdigen und unterstützen, was zu würdigen und zu unterstützen ist. Dafür gibt es – trotz rückläufiger Tendenzen – in Leipzig genügend Grund.
Bei „Aufstehen“ kommen Menschen – Bürgerinnen und Bürger – zusammen, denen es reicht. Sie empfinden – obwohl es manchen auch gut geht – die tiefe Kluft zwischen Herrschenden und Beherrschten, zwischen Wahrheit und Lüge. Was dagegen zu tun ist, wird sehr unterschiedlich gesehen, aber es besteht Einigkeit, dass etwas dagegen getan werden muss.
In Leipzig fanden mehrere Aktionen von „Aufstehen“ statt, zum Teil mit direkter Anknüpfung an die französischen „Gelbwesten“ und in Solidarität mit ihnen. „Aufstehen“ hat nicht die Stärke der „Gelbwesten“, aber gemeinsam geht es ihnen um Selbstbehauptung von Unten. Wer wie die Linkspartei auf politische Mobilisierung verzichtet, unterdrückt das Selbstbewusstsein von Lohnabhängigen und Prekarisierten, unterdrückt das Bewusstsein – im Antagonismus gegen den Kapitalismus – zusammenzugehören.
Im Felsenkeller berichtete Cornelius Weiß, einer der Initiatoren von „Aufstehen“ in Leipzig, über den erreichten Stand. Weiß ist SPD-Mitglied, war Rektor der Leipziger Universität und sogar mal Fraktionsführer seiner Partei im Sächsischen Landtag und ist sehr angesehen in der Leipziger Friedensbewegung. Marxist ist er nicht. Umso bemerkenswerter ist es, dass er der Systemfrage nicht aus dem Weg ging. Anwesende wollten wissen, ob sie bei „Aufstehen“ eine Rolle spielt. Weiß bejahte und führte aus, dass er früher auch mal gedacht habe, der Kapitalismus ließe sich reformieren. Im Alter müsse er feststellen, dass das nicht geht. Kapitalismus und Demokratie seien Gegensätze und die Herrschenden würden es kaum erlauben, dieses System einfach zu beseitigen. Für Weiß, dem klar ist, dass nichts auf Kommando passiert und Geduld nötig ist, um Massenproteste zu entwickeln, heißt die Antwort auf diese Erkenntnis, dass man sich wehren muss.
„Aufstehen“ in Leipzig ist sicher weiter entwickelt und stabiler als andere Orts- und Regionalgruppen in der Republik. In der Stadt wurden mehrere Regionalgruppen gegründet und es gibt Fortschritte in der Organisationsarbeit. Für Juni ist eine erste Bürgerkonferenz geplant, die zu einer ständigen Einrichtung werden soll. An Samstagen soll es regelmäßige Aktionen geben. Unter dem Strich aber ist „Aufstehen von unten“ auch in Leipzig über eine Organisation im Wartestand, die längst nicht stabil ist, nicht hinausgekommen. Mit der Unterstützung linker Kräfte könnte das besser gelingen. Als Leipziger Kommunisten versuchen wir, unseren Teil beizutragen.
Die Bildung einer neuen Partei haben die Leipziger bislang konsequent ausgeschlossen. Nicht auszuschließen ist aber, dass Aktive über die Erfahrungen, die sie bei „Aufstehen“ sammeln, den Weg zur DKP finden, uns zumindest kennenlernen wollen. Keiner wird sie bedrängen, doch es ist unübersehbar, dass Unzufriedene mit dem SPD-Wartezustand der Linkspartei in „Aufstehen“ einen Ausweg suchen. Der ist gegenwärtig nicht gesichert.