Natürlich stimme ich mit Christoph Hentschel überein: Dass Reiche sich im Laufe der Geschichte und auch heute in Seuchen und Pandemien besser schützen konnten und können und Arme der Krankheit in ungleich höherem Ausmaß ausgeliefert sind – das dürfte so nicht sein.
Nun aber ausgerechnet Boccaccio (1313 bis 1375) als Zeugen für diese Skandalisierung zu nehmen, das wird seinem Buch „Dekameron“ nicht gerecht. Weder ist dies Werk Ausdruck von Empörung über die Reichen, die vor der Pest in ihre Landbesitzungen fliehen konnten, noch darüber, dass sie sich dann frivole Geschichten erzählten.
Im Gegenteil: Mit viel Sympathie schildert er in der Rahmenhandlung, wie sieben junge, kluge und selbstbestimmte Frauen in vernünftiger gemeinschaftlicher Abwägung ihre Entscheidung zur Flucht aus der Stadt treffen, dazu noch drei junge Männer einladen, sich ein fast demokratisch geregeltes Leben – wie ein soziales Experiment – organisieren, um nach 14 Tagen mutig in die Peststadt Florenz zurückzukehren. Vor dem Hintergrund der Barbarisierung durch die Pest zeigt er auf, wie es möglich sein kann, sich von Angst und Depression hin zu innerer Heiterkeit zu bewegen, nämlich durch gemeinsame kulturelle Eigentätigkeit: Singen, spielen, tanzen und das gegenseitige Erzählen von Geschichten. (…)