Der Krieg um die Köpfe

Nicht für dumm (ver)kaufen lassen

Demokratische und soziale Errungenschaften stehen unter Beschuss. Die Kriegsgefahr steigt. Diplomatie ist etwas für Weicheier und „Kriegstüchtigkeit“ erneut eine Tugend. Die DKP hält es bei ihren Analysen der politischen Ereignisse für unverzichtbar, aktuelle und geschichtliche Zusammenhänge zu erkennen. Dabei haben wir sowohl politische als auch ökonomische und ideologische Aspekte zu berücksichtigen.

Politische Analysen setzen voraus, dass die Funktionen reaktionärer, konservativer und faschistischer Kräfte differenziert in ihren jeweiligen Rollen betrachtet werden. Sofern dies geleistet wird, ist die AfD nicht länger der alleinige Gottseibeiuns. Die Rolle der CDU und vor allem der CSU sowie der Freien Wähler einerseits und der Durchmarsch nach rechts der SPD und der Grünen andererseits müssen nicht weniger Beachtung finden. Die Politshows der Regierungsparteien haben mit Antifaschismus rein gar nichts gemein.

Ökonomische Analysen setzen voraus, dass die Interessen des Monopolkapitals, seine – auch divergierenden – Pläne und seine Machtausübung als die zentralen Hebel des politischen Geschehens erkannt werden.

Ideologische Analysen setzen voraus, dass die heutige gesellschaftliche Verfasstheit in der BRD als das Produkt massiver Indoktrination, Propaganda und Gewalt verstanden wird – eine Formierung, gegen die nur kluge und kollektiv arbeitende Köpfe ankämpfen können.

Der Klassengegner hat die Kraft der Propaganda nicht erst mit Goebbels begriffen. Schon der Kriegseintritt der USA im Ersten Weltkrieg war ein Meisterstück der Propaganda. In den letzten Jahrzehnten wurde „Cognitive Warfare“, die „Kognitive Kriegsführung“, zu mörderischer Vervollkommnung entwickelt. Insbesondere die USA und deren Geheimdienst CIA haben hier Bahnbrechendes vorzuweisen.

Frontstaat

Die BRD wurde gegründet als Frontstaat gegen die Völker, die sich gegen ihre Herren erhoben und befreit hatten, allen voran die Völker der So­wjet­union. Der Antikommunismus war die ideologische Grundlage. Die USA setzten – weltweit – all ihre Möglichkeiten ein, um die Kommunisten mundtot zu machen. Die bekannten: Mord und Totschlag, Intrige, Bestechung. In der jungen BRD wusch man Naziwesten rein und verfolgte Kommunisten. 1951 wurde die FDJ verboten, fünf Jahre später die KPD.

Federführend bei antikommunistischer Indoktrination war die CIA, die vom Lumpenpack bis zum hoch dotierten Intellektuellen alles zusammenschob, was für God’s Own Country genehm war.

Ideologie und Speck

Viele europäische Intellektuelle ließen sich ihre Klugheit und ihren Individualismus bauchpinseln und fielen auf die Manöver der CIA herein. Der „Antistalinismus“ war der Speck, mit dem die Mäuse gefangen wurden. „Freiheit und Gerechtigkeit“ war die Losung des ideologisch-kulturellen Feldzugs. Der Kalte Krieg um die Köpfe funktionierte, beispielhaft nachzuverfolgen an den Geschehnissen um den „Kongress für kulturelle Freiheit“ im Juni 1950 in Berlin. Aus ihm erwuchs als feste Institution der Congress for Cultural Freedom (CCF), eine weltweit operierende Organisation liberaler, antikommunistischer Intellektueller. 1967 musste er die Tätigkeit einstellen, als Beweise seiner Finanzierung durch die CIA an die Öffentlichkeit kamen. Mit dabei: Willy Brandt, Heinrich Böll, Siegfried Lenz, Stefan Andres. Von den gut gefüllten Fleischtöpfen profitierte auch eine Hannah Arendt, gern gebuchte Fachfrau in Sachen Totalitarismus. Großzügig wurden Kongresse, Reisen und Zeitschriften finanziert. Das mit dem Speck ist also nicht nur symbolisch zu verstehen.

Professor Gabriel Rockhill von der Villanova University in Pennsylvania schreibt in einem Artikel für die „World Marxist Review (WMR)“ vom Juni 2024, dass der CCF Niederlassungen in 35 Ländern hatte und rund 50 renommierte Zeitschriften auf der ganzen Welt veröffentlichte oder unterstützte. Zahlreiche Kunst- und Kulturausstellungen sowie internationale Konzerte und Festivals wurden durch ihn organisiert. „Im Laufe seines Bestehens plante oder sponserte er außerdem rund 135 internationale Konferenzen und Seminare, arbeitete mit mindestens 38 Institutionen zusammen und veröffentlichte mindestens 170 Bücher. Sein Pressedienst, Forum Service, sendete kostenlos und in die ganze Welt Berichte seiner korrupten Intellektuellen in zwölf Sprachen, die 600 Zeitungen und fünf Millionen Leser erreichten.“

Kognitive Kriegsführung

Seit 2020 intensivieren NATO und EU ihre Anstrengungen auf dem Gebiet der Kognitiven Kriegsführung. Führungsebenen des Militärs mussten gewonnen werden für „NATO’s Sixth Domain of Operations“ („Das sechste Einsatzgebiet der NATO“), auch weil die Kritik an den USA und ihren kriegerischen Aktivitäten (vor allem in Afghanistan, Libyen und Syrien) weltweit zugenommen hatte. Mit Publikationen, Arbeitstreffen und Innovationswettbewerben wurde die Militarisierung der Neurowissenschaften vorangetrieben. Jonas Tögel nennt in seinem Buch „Kognitive Kriegsführung“ insbesondere die Arbeit von Hervé Le Guyader, einem Cyberexperten und Gründer des European Center for Communication. Er legte wissenschaftliche Grundsatzarbeiten vor, unter anderem für die Studie „Warfighting 2040“ des ACT (Alliiertes Transformationskommando, verantwortlich für die Strategien und Weiterentwicklung der NATO). 2021 wurde bekannt, dass diese Bemühungen gefruchtet haben. Das Pentagon hatte seine Cyberarmee nochmals massiv aufgestockt. „Dazu veröffentlichte die Zeitung ‚Newsweek‘ den Bericht einer investigativen Recherche, in der sie herausgefunden hatte, dass die ‚größte Macht im Untergrund, die es jemals gab‘, eine 60.000 Mann starke Armee von Cyberkriegern sei, welche vom Pentagon in den letzten zehn Jahren geschaffen wurde“, schreibt Tögel. Das obendrauf auf einen Apparat, von dem bereits 2009 bekannt war, „dass das Pentagon 27.000 Mitarbeiter beschäftigte, deren einzige Aufgabe darin bestand, durch gezielte Propaganda die Meinung der Öffentlichkeit im Sinne der US-Armee zu beeinflussen“. Dafür gab das US-Militär 4,7 Milliarden US-Dollar pro Jahr aus.

Verraten: die Klasse

Die Herrschenden, namentlich die der USA als Geburtsnation der Propaganda, haben aus dem Hitlerfaschismus gelernt. Professor Rockhill im bereits erwähnten Beitrag in der „WMR“: „Die liberale Demokratie funktioniert wie der gute Polizist des Kapitalismus und verspricht Rechte und Vertretung zu konformen Themen. (…) Es ist offensichtlich besser, sich von einem guten Polizisten regieren zu lassen, und die Verteidigung und der Ausbau auch begrenzter Formen der Demokratie sind lohnende taktische Ziele (insbesondere im Vergleich zum Schrecken einer vollständigen faschistischen Übernahme des Staatsapparats). Es ist jedoch strategisch wichtig, dies zu erkennen – genau wie im Fall von einem polizeilichen Verhör: der gute Polizist und der böse Polizist arbeiten für denselben Staat zusammen und mit einem identischen Ziel – die Aufrechterhaltung, ja sogar Intensivierung der kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse mit dem Zuckerbrot der bürgerlichen Demokratie oder der Peitsche des Faschismus.“

Die Integration der Beherrschten ins System, die Übernahme der Denkweisen von oben bei denen da unten ist – weil im Verborgenen – allemal effektiver als offener Terror. Dienstbares und williges Personal wie Scholz, Pistorius, Habeck, Baer­bock gibt es zuhauf, die „Alternativen“ Merz und Söder sind in der Warteschleife. Feindbilder sind wichtig: Putin, der Russe, die Migranten, die arbeitsscheuen Bürgergeldempfänger. Ein ebenfalls bewährtes Mittel der Kriegspropaganda ist die Personifizierung von Sündenböcken, das Aufbauen von Individuen oder gesellschaftlichen Gruppen zu Hassfiguren und -objekten, auf die der Geknechtete dann nach unten treten kann.

Die bürgerlichen Parteien wirtschaften ab, das Wahlvolk steht hilflos vor dem Scherbenhaufen. Zustimmung zu Kanonen statt Butter und Opfer für die Reichen funktionieren nicht mehr richtig. Viele Menschen resignieren, da sie daran gewöhnt sind, dass man nichts selber tun kann außer jammern. Und sie wurden gerade von der Sozialdemokratie daran gewöhnt, dass es irgendeine starke Hand für sie schon richten wird. Wenn diese dabei versagt, geht die Suche los, was man noch wählen kann? Da bietet sich dann die AfD mit ihren Maulhelden an. Sie bietet sich an als Opposition gegen die „Systemparteien“ und ihre Politik – und bleibt doch selbst Diener dieses Systems, weil sie die Träger der Politik, das Monopolkapital, verschont.

Verdrehungen

Zusammenhänge werden nicht vermittelt, weder inhaltlich noch historisch. Deshalb kommen – allerdings nur auf den ersten Blick – widersprüchliche Umfrageergebnisse zustande: Für die Deutschen war bei der EU-Wahl das wichtigste Thema Frieden, gleichzeitig ist Kriegsertüchtigungsminister Pistorius der beliebteste Politiker. Das Bild des armen, schwachen Deutschland, das dem anrückenden Putin hilflos ausgeliefert ist, wird gekonnt in Szene gesetzt, denn so erscheinen Aufrüstung, Vergrößerung der Bundeswehr und Kriegsfähigkeit logisch und notwendig. Informationen über die deutsche Verstrickung in den Ukraine-Krieg, den Völkermord in Gaza, die Kriege in Syrien oder Afghanistan werden verdreht oder verschwiegen und spielen als Ursache dafür, dass Menschen nach Deutschland fliehen, keinerlei Rolle. Stattdessen wird uns weisgemacht, diese Menschen würden uns überschwemmen, um uns die Butter vom Brot zu nehmen. Wie fein sich das doch alles zusammenfügt, wenn man die richtigen Szenarien konstruiert!

Die größten Dumpfbacken reden mit und wissen Bescheid, wie es in der Welt zugeht. Dazu dann ein plappernder Kleinbürger Campino von den Toten Hosen, der in verbrecherischer Weise dazu beiträgt, die nächste Generation junger Menschen „kriegstüchtig“ zu machen, wenn er kundtut, dass er ehedem den Kriegsdienst verweigert habe, das aber heute wohl nicht mehr tun würde.

Bleiche Mutter Deutschland

„O Deutschland, bleiche Mutter“ – so der Titel eines der ergreifendsten Gedichte von Bert Brecht. „Mögen andere von ihrer Schande sprechen / ich spreche von der meinen“, heißt es da. Sprechen wir also davon, was unser Beitrag sein kann in den Zeiten des weltweiten Umbruchs. Wir haben einen überaus mächtigen Gegner mit einer Propagandamaschinerie, gegen die wir völlig machtlos sind, wenn wir nicht geballt und geeint uns auf gemeinsame Themen fokussieren. Die progressiven Kräfte, die radikalen Demokraten, die Hellsichtigen in diesem Land müssen sich zusammentun, das Trennende beiseitelassen und zentrale gemeinsame Forderungen vertreten. Sicherlich wird das erst einmal bestenfalls mit einigen Forderungen möglich sein, weil man organisatorisch nicht miteinander kann. Aber wenn sich die Kräfte des Fortschritts einig sind darin, dass das Hauptproblem die Kriegsgefahr ist, könnte man sich treffen unter den Losungen „Gegen Militarisierung, Rechtsentwicklung und Sozialabbau“ und „Arbeit, Brot und Frieden“. Stünde dies bei allen im Mittelpunkt, ließen sich die Spaltungsversuche der Herrschenden unter dem Motto „rechtsoffen“ überwinden. Bei den nächsten bundesweiten Friedensdemonstrationen am 3. Oktober in Berlin und am 12. Oktober in München wird sich zeigen, inwieweit uns das gelungen ist.

Politisch, ökonomisch und ideologisch muss klargemacht werden, dass Demokratie und Krieg noch nie zusammen funktioniert haben. Die Themen Krieg, Faschismus und Sozialabbau müssen in ihrem inneren Zusammenhang gesehen werden. Dazu brauchen wir unsere marxistische wissenschaftliche Weltanschauung. Sie zu bewahren und weiterzuentwickeln muss neben unserem aktiven Einsatz gegen den Krieg gesichert sein, sonst verlieren wir die Voraussetzung für unseren politischen Willen.

Wir können nur die richtigen Antworten geben, wenn wir uns nicht als den Nabel der Welt, sondern als Bestandteil einer weltumspannenden Gemeinschaft betrachten. Es wird allen Völkern dieser Erde gedient sein, wenn wir verhindern, dass der deutsche Imperialismus ein drittes Mal dazu beiträgt, Verderben über die Menschheit zu bringen. „Warum preisen dich ringsum die Unterdrücker, aber / Die Unterdrückten beschuldigen dich?“

Ralf Hohmann hat eine Linkliste zum Thema Kognitive Kriegsführung für den UZ-Blog zusammengestellt.

Die Zeitschrift „World Marxist Review“ erscheint in englischer Sprache vierteljährlich im Canut-Verlag.
Mitgetragen wird die neue Zeitschrift von der World Association for Political Economy (WAPE) und der Northwestern Polytechnical University in China.
Lesetipp:
Jonas Tögel
Kognitive Kriegsführung
Neueste Manipulationstechniken als Waffengattung der NATO

Westend Verlag, Neu-Isenburg 2023, 24 Euro
Erhältlich im UZ-Shop

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Nicht für dumm (ver)kaufen lassen", UZ vom 23. August 2024



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Stern.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit