Erste Runde in der Metall- und Elektroindustrie abgebrochen

Nicht einschüchtern lassen!

Nikos Papadopoulos und Benedict Kolbe

Erste Runde der Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie fanden in den verschiedenen Bezirken zwischen 11. und 16. September statt. Die IG Metall fordert eine Erhöhung der Entgelte um 7 Prozent für 12 Monate. Auszubildende sollen 170 Euro mehr im Monat erhalten. Außerdem will die IG Metall eine soziale Komponente für die unteren Entgeltgruppen erreichen, einen Mitgliederbonus sowie eine Ausweitung der Wahloptionen zwischen Zeit und Geld beim tariflichen Zusatzentgelt „T-ZUG“.

Allein in München demonstrierten zum Verhandlungsauftakt am 11. September 5.000 Metallerinnen und Metaller. Das war die größte Tarifaktion während der Friedenspflicht, die es in Bayern je gab. Zu Beginn der Verhandlung im Haus der bayerischen Wirtschaft überreichte die IG Metall den Verhandlungsführern der Kapitalseite mehrere rote Säcke – gefüllt mit Postkarten, auf denen die Beschäftigten ihre Forderungen geschrieben hatten. Die IG-Metall-Jugend übergab einen Einkaufswagen mit Lebensmitteln. Genau die gleichen Lebensmittel hatten die jungen Metallerinnen und Metaller bereits 2021 gekauft. Ergebnis: Der Inhalt des Einkaufswagens ist heute 34 Prozent teurer als 2021. Deshalb fordern die Azubis eine kräftige Erhöhung.

Erwartungsgemäß gab es keine Annäherung und kein Angebot seitens der Metallarbeitgeberverbände. In ihrer Erklärung zum Forderungsbeschluss appelliert Gesamtmetall an die Einsicht zur schwierigen Situation: „Da die Sorge der IG Metall vor der De-Industrialisierung wohl ernst gemeint ist, muss nun alles darauf gerichtet werden, den Standort zu stärken. Dazu müssen wir Tarifparteien auch unseren Beitrag leisten.“ Der Verhandlungsführer und stellvertretende Vorsitzende von Südwestmetall, Harald Marquardt, hat bereits Anfang Juni die Richtung für die Tarifrunde vorgegeben: „Zu verteilen gibt es überhaupt nichts; die richtige Zahl wäre eine Null – und selbst die wäre noch zu hoch.“ Und er droht ganz unverhohlen mit Arbeitsplatzabbau, wenn die Löhne steigen: „Jedes Plus bei den Arbeitskosten erhöht den Druck auf die Arbeitsplätze.“

Die Reaktionen der Kapitalseite auf die Forderungen der IG Metall waren in allen Bezirken gleich: Von „überzogen“, „nicht situationsgerecht“, „völlig unrealistisch“, „Die Unternehmen leiden an zu hohen Lohnkosten“ bis zu „Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen muss erhalten“ bleiben. Die Wirtschaft müsse gestärkt und der „Standort Deutschland“ für die Metall- und Elektroindustrie gesichert“ werden, um der De-Industrialisierung Einhalt zu gebieten.

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Die IG-Metall-Jugend machte deutlich, was Reallohnverlust konkret bedeutet (München, 11. September 2024). (Foto: Werner Bachmeier via IG Metall)

Ralph Wangemann, Verhandlungsführer der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie aus Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland, will gegen die De-Industrialisierung die Sozialpartnerschaft mit der IG Metall stärken, um weitere Reallohnsenkungen durchzusetzen: „Der Abwärtsspirale in Richtung De-Industrialisierung, in welcher unser Standort geraten ist, können wir nur durch zügiges Umsteuern entrinnen. Die Möglichkeiten, die wir als Sozialpartner haben, müssen wir dabei sehr verantwortungsbewusst nutzen.“

Unerwähnt blieb in allen Äußerungen von Gesamtmetall, dass es seit 2018 Reallohnverluste von über 10 Prozent gab, dass der Lohnkostenanteil inzwischen auf 16,1 Prozent gesunken ist und dass die Unternehmen, die jetzt über schwierige Zeiten klagen, dieses Jahr Milliarden und Abermilliarden an Dividenden an ihre Aktionäre ausgeschüttet haben. Auf den Punkt gebracht hat es Horst Ott, Bezirksleiter der IG Metall Bayern: Bei guter wirtschaftlicher Lage schade eine hohe Forderung dem Aufschwung, bei schlechter wirtschaftlicher Lage koste sie Arbeitsplätze. Eine gute Zeit, um eine Entgeltforderung zu stellen, gibt es nicht.

Das Metallkapital verunglimpft die berechtigten Forderungen der Beschäftigten als viel zu hoch und unangemessen. Gleichzeitig wird die Angst vor De-Industrialisierung und Arbeitsplatzabbau geschürt. Damit wird versucht, die Kampfkraft der IG Metall zu untergraben und gemeinsames Handeln zu erschweren.

Über die ersten Verhandlungen wird berichtet, sie hätten in „konstruktiver Atmosphäre“ stattgefunden. Da heißt es, aufmerksam zu beobachten, wie sich die Positionen der IG Metall unter dem großen Druck der Kapitalseite entwickeln. Von den Tarifforderungen darf nicht abgewichen werden – weder bei der Höhe noch bei der Laufzeit. Es kommt auf den Druck der Mitglieder an. Dieser muss durch gute Mobilisierung zum Ausdruck kommen. Die Beschäftigten müssen auch ihrer Gewerkschaft zeigen, dass sie voll und ganz hinter den Forderungen stehen.

Die zweite Verhandlungsrunde findet zwischen dem 15. und 21. Oktober statt. Dann soll es in allen IG-Metall-Bezirken verhandlungsbegleitende Aktionen geben. Die Friedenspflicht endet am 28. Oktober, danach sind Warnstreiks möglich.

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"Nicht einschüchtern lassen!", UZ vom 20. September 2024



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