Fragen eines 1989 Geborenen – Aus der Festschrift der DKP Sachsen-Anhalt zum 70. Jahrestag der DDR

Nicht das Ende der Geschichte

Festschrift der DKP Sachsen-Anhalt.

Im Internet zu finden unter:

www.dkp-halle.de

Die DKP in Sachsen-Anhalt nahm den 70. Jahrestag der DDR zum Anlass, eine Festschrift zu erarbeiten. Wir bringen in dieser Ausgabe den Beitrag eines Genossen, der die Wirkungen der Konterrevolution, aber auch die Nachwirkungen des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden von Anfang an erfahren hat.

Das Jahr 1989 war ein Jahr voller Ereignisse. Ja, im wahrsten Sinne des Wortes wurde Geschichte geschrieben. Meine Geburt lag bereits nach dem sogenannten Fall der Mauer, doch strahlt in meiner Geburtsurkunde noch der Stempel der DDR. Erzählungen zufolge war es mir bereits in frühester Kindheit eine große Ehre, direkt in den Westen fahren zu dürfen. Es ist utopisch anzunehmen, dass sich bereits nach ein paar Monaten die sozialen Strukturen eines sozialistischen Gesellschaftssystems in Luft auflösen konnten. Ich erinnere mich noch gut daran, wie es nach frisch gekochtem Essen in der Kita roch, da wurde das Essen noch selbst zubereitet. Doch nicht nur das, ob die Köchin selbst, die Reinigungskraft oder auch der Hausmeister, alle waren in den Erziehungsprozess involviert. Wir konnten in der Küche helfen, dem Hausmeister behilflich sein oder einfach spielen. Wenn ich versuche, Parallelen zu heute zu ziehen, könnte ich schlichtweg sagen, früher fand ich es besser. Heute wird das Essen von Großküchen geliefert, die Kinder haben kaum einen Zugang zum Essen, wenn es in den großen Kübeln angeliefert wird. Das Beispiel dient nicht dazu, in meine Erinnerungen zu verfallen und meine Kindheit zu glorifizieren, sondern spiegelt letztlich nur einen Teil eines umfassendes Prozesses, der viele Bereiche des täglichen Lebens ausgliedert, entfremdet und wirtschaftlich attraktiver macht. Die soziale Komponente, die Verbindungen untereinander, wurden so Stück für Stück aufgelöst. Es werden Sachen individualisiert, die eigentlich zusammen gehören.

In dieser Zeit der frühen Kindheit hat man diese Prozesse natürlich nicht bewusst wahrgenommen. Doch ich konnte feststellen, dass sich meine Familie durch verschiedene Aspekte auszeichnete: Teile waren in der Politik fest verankert, waren sie doch engagierte Politiker, Mitglieder der Sicherheitsbehörden und einfache ArbeiterInnen. Selbst Familienangehörige, die Erfahrungen mit den Sicherheitsorganen hatten, gehörten ebenso dazu. Das gab mir die Möglichkeit, die DDR später unter vielen Facetten besser kennenzulernen. Mauerfall, Wende, friedliche Revolution – was soll das gewesen sein?

Als Kind haben mir diese Begriffe logischerweise nichts bedeutet, wobei genau zu dieser Zeit all diese Prozesse abgelaufen sind, die das Leben vieler Generationen nachhaltig prägen sollten. Irgendwann fing ich an zu versuchen, zu verstehen, was es bedeuten könnte, dass mit dem Jahr 1989 das Ende der Geschichte eingetreten sein sollte. Dass es einen „Sieg“ über ein weiteres Unrechtssystem gab. Dass nun alles besser werden würde. Ich fragte mich viele Jahre, wem geht es denn besser? Wer hat davon profitiert? Wir waren es jedenfalls nicht … Einige aus der Familie schafften es, sich eine neue Nische zu schaffen, das aber nur unter der Voraussetzung, die eigene Geschichte außen vor zu lassen. So zu tun, als hätte man jahrelang darauf gewartet, sich dem Kapitalismus zu unterwerfen.

Die DDR war für viele Jahre in meiner Biografie sehr präsent. Viele Lieder begleiteten uns, viele Geschichten wurden erzählt und Schicksale traten zutage, die es so in der DDR nicht gegeben hatte. Der Verlust der sozialen Stellung und Arbeitslosigkeit trafen wohl viele. Die Menschen werden den Anforderungen nicht mehr gerecht, denen sie doch Jahre zuvor selbstbewusst in die Augen schauen konnten. Ob im Fernsehen, im Radio, in den Zeitungen – meine Wahrnehmung war folgende: Das System, in dem meine Eltern und Verwandte aufgewachsen sind, in dem sie ihre Lebenserfahrungen sammelten, wurde zu einem feindlichen System erklärt, das es gilt, in all seinen Facetten zu bekämpfen. Der klaffende Widerspruch wurde dabei immer größer – es ging nie um kritische Auseinandersetzung mit der DDR, sondern um eine Verleumdung, um die Auslöschung eines Gesellschaftssystems fernab des Kapitalismus. All das, wofür Millionen Menschen gelebt haben, war mit einem Mal etwas Unrechtmäßiges. Die eigene Identität hatte keinen Wert mehr, sie wurde Millionen von Menschen gestohlen. Sie wurden in ein System gesteckt, das für viele im wahrsten Sinne des Wortes Absturz bedeutete. Von der Wende zum Ende der Geschichte

Mir fallen sicherlich nicht alle Begrifflichkeiten ein, die ich in diesem Zusammenhang gehört und gelesen habe. Sei es die Wende, die Wiedervereinigung, ja, die friedliche Revolution und sogar das Ende Geschichte ist mit dem Jahr 1989 eingeläutet wurden. Ideologische Spielchen der Herrschenden ganz nach dem Motto, man muss dem Kind nur ein passenden Namen geben und die Menschen glauben alles! Es war selbst noch in meiner Jugendzeit schwierig, sich mit der DDR in einem positiven Sinne auseinanderzusetzen. Mir wurde immer wieder das Gefühl bewusst, dass viele es nur unter vorgehaltener Hand taten. Warum war das so? Spielte die eigene Geschichte keine Rolle mehr? War die Angst, darüber zu reden, zu groß? Auch der Geschichtsunterricht hielt keine passende Möglichkeit bereit. Das, was ich aus dem Unterricht mitgenommen habe, lässt sich schnell zusammenfassen: Wenn es die Mauer noch geben würde, meine Geschichtslehrerin würde diese mit einem Bosch-Hammer einreißen. Na, dann viel Spaß, dachte ich mir …

Alles wird versucht, um die DDR als ein Unrechtssystem darzustellen. Vorzeigebeispiele bleiben ja nach wie vor die „Mauertoten“ oder eben die „Opfer“ der Staatssicherheit. Es scheint mir manchmal so, als wäre die DDR der einzige Staat gewesen, der einen funktionierenden Sicherheitsapparat hatte. Doch das ist nicht der Fall. Ein einfacher Wikipedia-Vergleich bringt für mich etwas Licht ins Dunkel. Laut Wikipedia ging die „Arbeitsgemeínschaft 13. August“ von insgesamt 245 Todesfällen aus. Auf der anderen Seite verzeichnet die BRD laut Wikipedia und einer unvollständigen Statistik, zwischen 1952 und 1989 über 260 Tote durch den tödlichen Schusswaffengebrauch westdeutscher Polizisten. Insgesamt sind es über 500 Todesopfer. Das Ziel hinter diesen Zahlen soll nicht darin bestehen, die Opfer gegeneinander aufzuwiegen, sondern soll die Doppelzüngigkeit deutlich machen, mit der die bürgerlichen Medien ihre Hetze gegen die DDR vorantreiben. So verwundert es mich auch nicht, dass der erste Auslandseinsatz der Bundeswehr außerhalb des Nato-Gebietes direkt 1990 erfolgte.

Zum Glück war 1989 nicht das Ende der Geschichte.

Im Oktober diesen Jahres wäre der 70. Jahrestag der DDR wohl ein großer Staatsakt geworden. Stattdessen werden wir eine massive Hetze erleben dürfen. Von Spielfilmen, Dokumentationen und etlichen Zeitungsberichten werden wir erfahren, wie schlecht es den Menschen in der DDR ging und wie gut es ist, dass wir diese Zeiten überwunden haben. Zum Glück gibt es immer noch genügend Menschen, die diesen Tag mit Wehmut angehen und sich gern die DDR zurück wünschen. Einfach schon aus dem Grund, weil für existenzielle Sorgen und Nöte gesorgt war. Sicherlich gab es nicht täglich Bananen, doch meine Familie brauchten sich keine Sorgen über Miete, Essen und Arbeit machen. Die Betreuung der Kinder war gesichert und die freie Zeit konnte ausgiebig genutzt werden. Es gab zahlreiche kulturelle und soziale Angebote, von denen gerade die ländlichen Gegenden heute nur noch träumen können. Die DDR war nicht nur eine Bereicherung für viele von uns, sondern die Existenz ganzer sozialistischer Staaten hatte großen Einfluss auf die Weltpolitik. Die Erfahrungen sind äußerst reichhaltig und können nutzbar gemacht werden.

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"Nicht das Ende der Geschichte", UZ vom 8. November 2019



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