Belegschaft von ABB-Hitachi Großauheim erhöht Druck auf den Konzern

Nicht betteln, nicht bitten …

UZ: Die Geschäftsleitung von Hitachi-ABB will das Schaltanlagenwerk in Hanau-Großauheim mit 350 Beschäftigten Mitte 2021 schließen. Wie organisieren Kolleginnen und Kollegen und die IG Metall den Widerstand?

520302 Portraet Richard Pfaff - Nicht betteln, nicht bitten … - Arbeitskämpfe - Wirtschaft & Soziales
Richard Pfaff ist ehemaliger Betriebsratsvorsitzender von ABB Großauheim.

Richard Pfaff: Für den Konflikt um den Erhalt des Standortes hat die Belegschaft in einer Tagung einen Handlungsplan entwickelt, einen Steuerungskreis gebildet und Aufgabenteilung abgesprochen. Zudem werden regelmäßige Infos von VK, BR und IG Metall gestaltet.

Die Belegschaft wirft dem ABB-Konzern vor, dass er Rechtsbruch begeht, weil die Herrschaften die Schließung entgegen einer Standortzusage in einer Betriebsvereinbarung betreiben. Zudem erhöht die Profitgier des Investors Cevian und weiterer Shareholder den Druck auf diese profitable und zukunftsausgerichtete Produktionsstätte.

Die Belegschaft hat mehrere Protestaktionen vor dem Werkstor, einen Autokorso zum Marktplatz in Hanau und einen 24-Stunden-Streik, verbunden mit einer Fahrt zur Konzernzentrale in Zürich, durchgeführt. Bei ihrem Widerstand wurden sie vor Ort von der Schweizer Gewerkschaft „Unia“ solidarisch unterstützt.

Dies alles gelang seit Oktober auch unter den Bedingungen der Covid-19-Pandemie. Die Belegschaft erhielt dabei vielfältige öffentliche Unterstützung.

UZ: Wie könnte nach deiner Meinung der Standort und die Arbeitsplätze erhalten werden?

Richard Pfaff: Im Kapitalismus werden ständig Standorte vernichtet. Gegen solche Konzernentscheidungen bietet die Mitbestimmung im Betriebsverfassungsgesetz oder das Aktiengesetz für die Aufsichtsräte keinen Schutz.

Um die Interessen der Belegschaft und ihrem Umfeld an der Erhaltung des Produktionsstandortes Hanau durchzusetzen, muss sie ökonomischen Druck erzeugen und es muss eine öffentliche Skandalisierung dieser Unternehmenspolitik von Hitachi-ABB stattfinden. Beides machen die Kolleginnen und Kollegen im Betrieb und sie wachsen im Verlauf des Konfliktes über sich hinaus.

Ihr Handeln muss allerdings zu einem unbefristeten Streik oder einer Betriebsbesetzung führen, um den Druck auf den Konzern weiter zu erhöhen. Und es wird eine über den Betrieb hinausgehende Initiative benötigt, um mit mehr Macht das Allgemeinwohl über die Profitgier des Hitachi-ABB-Konzerns zu stellen.

UZ: Wie ist der aktuelle Verhandlungsstand zwischen Betriebsrat und der Geschäftsleitung?

Richard Pfaff: Der Betriebsrat hat gemeinsam mit der IG Metall die Verhandlungen für die Zukunft des Standortes über einen Firmentarifvertrag in die Wege geleitet. Es wurde eine Tarifkommission gebildet und eine Forderung beschlossen. Darin wird das Unternehmen auf den Erhalt des Standortes bis zum 31. Dezember 2023 verpflichtet und in diesem Zeitraum soll unter Beteiligung der Landesregierung, der Gemeinde und der Belegschaft ein Dialog für die Fortführung des Standortes stattfinden.

Die Unternehmensleitung hatte allerdings auch in der zweiten Verhandlungsrunde nur ein anderes Abwicklungsszenario vorgelegt. Daraufhin wurden die Verhandlungen von der IG Metall abgebrochen. Nun soll der Druck auf Hitachi-ABB noch einmal ganz deutlich erhöht werden.

UZ: In der Metall- und Elektroindustrie finden aktuell auch die Tarifverhandlungen statt. Haben Kolleginnen und Kollegen, die wie die Belegschaft von Hitachi-ABB für ihre Arbeitsplätze kämpfen, den Kopf frei für diese Auseinandersetzung?

Richard Pfaff: Die Tarifpolitik der IG Metall spielt für die Belegschaft schon immer eine Rolle. Die Kolleginnen und Kollegen haben 1984 nicht nur für die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich 45 Tage gestreikt, sondern sind regelmäßig an den Aktionen der Tarifrunden beteiligt. Für die kommende Tarifrunde habe ich bisher nur eine begrenzte Diskussion wahrgenommen. Das ist aber kein Wunder, denn die Tarifforderung für die M+E-Industrie wird das Problem einer Beschäftigungssicherung an diesem Standort wohl nicht lösen können. Ich bin mir aber sicher, dass sie sich für eine Entgelterhöhung in der Tarifrunde einsetzen werden.

UZ: Eine Tarifrunde ist bekanntlich kein Wunschkonzert, das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit ist entscheidend für den Ausgang. Wie sieht es aus mit der Streikfähigkeit und -bereitschaft der Belegschaften in Hessen?

Richard Pfaff: Die letzte Streikbeteiligung im Rahmen der Tarifrunde der M+E-Industrie fand in Hanau am 1. Februar 2018 bei der Vacuumschmelze statt. Es war ein gelungener 24-Stunden-Streik und trug zum Abschluss eines Tarifvertrages bei, der bis zum 31. März dieses Jahres lief. Dann vereinbarte wegen der Corona-Pandemie die IG Metall mit den Arbeitgeberverbänden ein sogenanntes „Krisenpaket“. Dies geschah ohne Streik und enthält bis zum 1. März 2021 eine erneute Friedenspflicht. Kurz: Drei Jahre fand keine betriebliche Mobilisierung für Verteilungskämpfe in der M+E-Industrie statt.

Die jetzige Streikfähigkeit und -bereitschaft müssen wir meines Erachtens neu ergründen, gerade weil sich in diesen drei Jahren die Arbeiterbewegung in dieser Sparte eher nicht bewegt hat. Wenn zu wenig Kampferfahrung da ist, wird das Kämpfen halt schwerer.

In diesen Jahren wurden die Stammarbeitsplätze und Ausbildungsplätze weiter reduziert. Die Auswirkungen für die Beschäftigten im Schatten der M+E-Industrie, also die Leiharbeit, Werkverträge, Zulieferer und befristet Beschäftigte wurden zudem in der Corona-Zeit noch schlechter gestellt und es gibt hier einen starken Beschäftigtenabbau.

Die Krisensituation, Spaltung der Beschäftigten, Konkurrenzdruck und Drohungen verunsichern die Beschäftigten. Die Gewerkschaftsmitglieder müssen auch damit rechnen, dass das Kapital die derzeit angespannte Situation dazu nutzt, um die IG Metall mit ihren vielen Mitgliedern zum zahnlosen Tiger zu machen.

Dagegen kann nur eine Diskussion über die Kaufkraft, darüber, wer den Mehrwert schafft, über die Profitgier, über Verteilungs- und Eigentumsfragen helfen. Und die Gewerkschaft muss in den Betrieben wieder deutlich machen, dass die Interessen der arbeitenden Bevölkerung nur mit gemeinsamem organisierten Handeln durchgesetzt werden kann.

Vor Kurzem hat ein kluger Gewerkschafter Karl Marx zitiert: „Ein Element des Erfolges besitzt sie (die Arbeiterklasse), die Zahl. Aber Zahlen fallen nur in die Waagschale, wenn Kombination sie vereint und Kenntnis sie leitet.“ Dies gilt natürlich auch für die kommende Tarifrunde.

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"Nicht betteln, nicht bitten …", UZ vom 24. Dezember 2020



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