Trendwende am Arbeitsmarkt – Azubis dringend gesucht“, jubelt die „FAZ“ in ihrer Ausgabe vom 14. Juli. Allein im Handwerk seien noch mehr als 30. 000 Ausbildungsplätze frei. Bis Ende Juni hätten bereits 62.251 junge Menschen eine Lehrstelle in einem Handwerksbetrieb gefunden. Hierbei beruft sich die „FAZ“, die sich gerne auch „Zeitung für Deutschland“ nennt, auf eine noch unveröffentlichte Zwischenbilanz des Handwerkszentralverbands (ZDH). Auch bei den Ausbildungsberufen in Industrie und Handel soll ein Aufwärtstrend zu erkennen sein.
Nach Aussage des Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Peter Adrian, hätten die IHKs bis Ende Juni 1,4 Prozent mehr Ausbildungsverträge als im vergangenen Jahr in diesen Branchen registriert. Allerdings waren die Ausbildungszahlen im vergangenen Jahr im Keller. Erstmals seit der Annexion der DDR fiel die Gesamtzahl neu besetzter Lehrstellen unter eine halbe Million. Nach Daten des Bundesinstituts für Berufsbildung wurden 2019 noch 525.000 Lehrstellen neu besetzt. Ein Jahr später waren es gerade noch 467.500. Dies entspricht einem Minus von 11 Prozent. Im Handwerk sank die Zahl der Neuabschlüsse dabei um 7,5 Prozent auf 132.000. In den traditionell großen Bereichen der Industrie- und Handelskammern gab es sogar einen Rückgang um 14 Prozent auf 262.000 Neuverträge.
Glaubt man den Wirtschaftsvertretern und ihrem „Zentralorgan“, deutet sich nun also die Trendwende auf dem Ausbildungsmarkt an. Schließlich belief sich der Rückstand Ende Juni dieses Jahres gegenüber 2019 auf „nur“ 3.758. Verschwiegen wird hier allerdings, dass sich schon vor der Krise die Zahl der jungen Menschen ohne abgeschlossene Ausbildung auf 2,16 Millionen erhöht hatte. Dies entspricht 14,7 Prozent der 20- bis 34-Jährigen. Insbesondere Jugendliche mit Hauptschulabschluss oder Migrationshintergrund haben kaum eine Chance. Zieht man dies in Betracht, klingen die „Erfolgsmeldungen“ der Wirtschaftsvertreter so surreal, wie wenn ein Fußballtrainer eine 0:5-Niederlage, angesichts der 0:6-Klatsche aus der Vorsaison, als „sportliche Entwicklung“ verkauft.
Tatsächlich ist die Hoffnung auf einen deutlichen Anstieg der Ausbildungszahlen nach der Krise trügerisch. Dies lehrt die Erfahrung aus der Finanzkrise 2008/2009. Im Jahr 2007 wurden bundesweit noch 625.884 Ausbildungsverträge geschlossen. Im Krisenjahr 2009 reduzierte sich die Zahl um über 50.000. Im Jahr 2019 waren es gerade noch 525.081. Im Vergleich zu 2007 sind dies über 90.000 Ausbildungsverträge weniger.
Die Ursachen für diese Entwicklung sind aus Sicht der Unternehmerverbände natürlich nicht im immer wieder Krisen produzierenden kapitalistischen Wirtschaftssystem zu suchen. Auch die Qualität der Ausbildung in vielen Betrieben scheint hier keine Rolle zu spielen. Stattdessen wird den Jugendlichen die alleinige Verantwortung für das Dilemma zugeschoben. Schließlich gäbe es ja (wieder) freie Lehrstellen. Vielen jungen Menschen fehle die Bereitschaft für eine betriebliche Ausbildung oder sie seien schlicht nicht ausbildungsreif.
Die Gewerkschaftsjugend hat den Spieß umgedreht und fragt in ihrem jährlichen Ausbildungsreport nach der Ausbildungsreife der Unternehmen. Der aktuelle Ausbildungsreport legt offen, dass die Ausbildungsqualität in vielen Bereichen weiterhin zu wünschen übrig lässt: Fast 40 Prozent der Auszubildenden wissen selbst im letzten Ausbildungsjahr noch nicht, ob sie von ihrem Betrieb übernommen werden. Etwa ein Drittel der Auszubildenden berichtet über ausbildungsfremde Tätigkeiten. Knapp ein Viertel kann sich nach der Arbeit nicht mehr richtig erholen. Die Höhe der Ausbildungsvergütung in vielen Branchen und Betrieben ermöglicht kaum ein eigenständiges Leben. Zudem bemängeln 44 Prozent die Qualität der Berufsschulen. Daher würden 16 Prozent eine Ausbildung in ihrem Betrieb nicht weiterempfehlen.
Es gibt also viele Stellschrauben, um die Qualität und damit die Attraktivität der dualen Ausbildung zu erhöhen. Die Unternehmerverbände haben sich stattdessen für eine große und bunte Imagekampagne „Sommer der Ausbildung“ entschieden.