Berufsverbotsbetroffene fordern Rehabilitierung und Entschädigung

Nicht aufgegeben

Hannes van Norden

Betroffene des sogenannten „Radikalenerlasses“, den Bundeskanzler Willy Brandt und die Ministerpräsidenten der damaligen Länder am 28. Januar 1972 in Bonn gefasst hatten, kamen rund 50 Jahre danach in Berlin zusammen. Im Rahmen einer Aktionswoche fanden zwei Veranstaltungen, eine Mahnwache in Potsdam sowie Gespräche mit Abgeordneten des Deutschen Bundestags und dem Innenministerium statt.

Bei der Aktionswoche ging es um die Aufarbeitung der Folgen, die der damalige Beschluss im Verantwortungsbereich des Bundes und der Länder hatte – „Berufsverbote“ und Einschränkung demokratischer Rechte –, sowie um die Forderung nach Rehabilitierung und Entschädigung der in den 1970er und 1980er Jahren Betroffenen.

Breite Unterstützung erhielten die Anliegen der Betroffenen bei einer Veranstaltung am 17. Mai im Haus der ver.di-Bundesverwaltung durch die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD), die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Andrea Kocsis und die Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern. Solidarische Grüße überbrachte Cornelia Kerth, Bundessprecherin der VVN-BdA. Musikalisch wurde der Abend gestaltet von der Gruppe „Grenzgänger“ und dem Liedermacher Bernd Köhler, gemeinsam mit der Formation „ewo2“. Jane Zahn und Michael Csaszkóczy, beide selbst Betroffene, rezitierten gemeinsam mit Bernd Köhler aus den Akten von Berufsverbotsverfahren.

Vor dem brandenburgischen Landtag in Potsdam fand am 18. Mai eine „5 vor 12“-Mahnwache statt aus Anlass des vom brandenburgischen Innenminister Michael Stübgen (CDU) geplanten „Verfassungstreue-Checks“ für den öffentlichen Dienst. Gegen Rechtsextremismus im Staatsdienst vorzugehen – angeblich das Anliegen – sei mit dem Disziplinarrecht und Mitteln des Strafrechts jederzeit möglich, wenn es wirklich politisch gewollt sei. Dazu bedürfe es keines neuen Gesetzes, das allgemein von „Extremisten“ rede, die Beweislast umkehre und – die Erfahrungen der letzten 50 Jahre missachtend – die Frage der „Verfassungstreue“ ausgerechnet in die Hände eines kompromittierten Geheimdienstes lege. Die Folgen wären ein weiterer Abbau demokratischer Rechte sowie eine neuerliche Atmosphäre der Bespitzelung und Einschüchterung.

Am Abend desselben Tages las – musikalisch begleitet vom Liedermacher Kai Degenhardt – in der Ladengalerie der „jungen Welt“ der Hamburger Lehrer Hans-Peter de Lorent aus seinem 1980 erschienenen Roman „Die Hexenjagd“, der auf eigenen Erfahrungen beruht und durch einen spektakulären Prozess bekannt wurde.

Drei bekannte Berufsverbotsbetroffene – Silvia Gingold, Werner Siebler und Michael Csaszkóczy – übergaben am 19. Mai im Bundesinnenministerium Ministerialdirektorin Walter (stellvertretend für Innenministerin Nancy Faeser) über 3.500 Unterschriften eines von zahlreichen Persönlichkeiten unterstützten Aufrufs zur Rehabilitierung der Opfer des „Radikalenerlasses“. Von Walter wurde – freilich ohne konkrete Schritte zu benennen – Verständnis für das Anliegen geäußert und zugesichert, dass es bei den Ankündigungen des Ampelkoalitionsvertrags zur Bekämpfung von „Verfassungsfeinden“ ausschließlich um eine Verfahrensbeschleunigung beim Disziplinarrecht bei manifesten Dienstvergehen gehen solle. Die „Regelanfrage“ werde auf Bundesebene nicht wiederbelebt. Eine politische Eignungsprognose für Personen, die den Beamtenstatus anstreben, werde es allerdings weiterhin geben.

Herta Däubler-Gmelin ging ausführlich auf die Vorgeschichte und Auswirkungen des 1972 von der Ministerpräsidentenrunde gefassten Beschlusses ein und betonte, dass die Berufsverbote eine „schlimme Bedrohung unserer Demokratie“ darstellten sowie ein „Ausdruck der Politik des Kalten Krieges“ und „eine Schande für unsere Demokratie und ein Riesenfehler“ gewesen seien. Die Rednerin würdigte „den tapferen Widerstand der Betroffenen“ gegen die Maßnahmen. Erforderlich seien jetzt Entschuldigungen, die Aufhebung von Entscheidungen sowie Entschädigungen.

Andrea Kocsis, stellvertretende ver.di-Bundesvorsitzende, bezeichnete die Einführung des „Radikalenerlasses“ als ein „wichtiges, bitteres Datum“, das eine „Hexenjagd auf junge Menschen“ eröffnet habe. Sie drückte ihre tiefe Betroffenheit aus und bat für ihre Gewerkschaft um Entschuldigung für die damaligen gewerkschaftlichen Unvereinbarkeitsbeschlüsse. Überdies forderte sie eine Rehabilitierung mit Entschädigung für die vom Berufsverbot Betroffenen.

Maike Finnern, GEW-Bundesvorsitzende, bedankte sich bei den Betroffenen: „Euer Engagement ist von unschätzbarem Wert, wir stehen fest an eurer Seite.“ Die Fehler der Vergangenheit dürften sich nicht wiederholen, äußerte sie mit Blick auf Bestrebungen zur Wiedereinführung einer Regelanfrage. Sie begrüßte die Entschließung des Niedersächsischen Landtags vom 16. Dezember 2016, bedauerte aber, dass die Frage einer Entschädigung für das Unrecht unberücksichtigt blieb.

Cornelia Kerth, Bundesvorsitzende der VVN-BdA, beglückwünschte die vom Berufsverbot Betroffenen zu ihrem langen Atem und ihrem Durchhaltevermögen. Sie erinnerte daran, dass bei der Einführung der Berufsverbote 1972 der damalige Chef des „Verfassungsschutzes“, Hubert Schrübbers, eine „Blutjuristenvergangenheit“ aufwies und forderte die Auflösung des Inlandsgeheimdienstes, da er eine Gefahr für die Demokratie darstelle.

Bilanz der Bespitzelung
In der Folge des „Radikalenerlasses“ kam es in 3,5 Millionen Fällen zu „Überprüfungen“ durch den Inlandsgeheimdienst. Nach offiziellen Zahlen wurden 1.520 fortschrittlich und linksorientierte Personen nicht in den öffentlichen Dienst eingestellt oder entlassen. Die Dunkelziffer ist hoch.
Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erklärten 1987 beziehungsweise 1995 diese Maßnahmen für unvereinbar mit den Kernnormen des Arbeitsrechts und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Seit 2006 gilt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz.
Gewerkschaftstage von DGB, GEW, ver.di und IG Metall unterstützten die Betroffenen und ihre Forderungen.
Die Landesparlamente von Bremen, Niedersachsen, Hamburg und Berlin beschlossen zwischen 2012 und 2021, sich für die damaligen Maßnahmen bei den Betroffenen zu entschuldigen und die Folgen aufzuarbeiten.

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"Nicht aufgegeben", UZ vom 27. Mai 2022



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