EU will mit „Anti-Coercion Instrument“ Zwangsmaßnahmen von Drittstaaten abwehren

Neue Waffe im Wirtschaftskrieg

Kaum jemand kennt es; dabei stufte das „Handelsblatt“ es kürzlich als „eine der brisantesten Gesetzesinitiativen“ ein, die „in Brüssel gerade vorbereitet werden“: das „Anti-Coercion Instrument“, das „Instrument gegen Zwang“, an dem die EU-Kommission arbeitet und das sie im Herbst vorstellen will. Mit „Zwang“ sind in diesem Fall ökonomische Zwangsmaßnahmen jeder Art gemeint – etwa Strafzölle, Sanktionen, Boykotte. Das „Anti-Coercion Instrument“ soll der Union ein Allround-Werkzeug in die Hand geben, um sie schnell und vor allem wirksam abwehren zu können: eine neue Waffe für den globalen Wirtschaftskrieg.

Joerg Kronauer - Neue Waffe im Wirtschaftskrieg - Europäische Union, Wirtschaftskrieg - Positionen
Jörg Kronauer

Nun ist die Nutzung ökonomischer Mittel zur Führung internationaler Machtkämpfe gewiss nicht neu. Wirtschaftssanktionen werden seit eh und je angewandt, um staatliche Gegner niederzuringen oder zumindest zu schwächen, Deutschland und die EU nutzen sie fleißig. Auch Strafzölle, nicht zuletzt von der EU verhängte, sind aus internationalen Konkurrenzkämpfen altbekannt. Allerdings greifen seit einigen Jahren die Vereinigten Staaten beim Versuch, ihre globale Dominanz zu bewahren, immer öfter zu den Mitteln des Wirtschaftskriegs, und dies nicht mehr nur gegen China und Russland, sondern auch – man denke etwa an die Stahlstrafzölle oder an den Streit um die Erdgaspipeline Nord Stream 2 – gegen die EU. Es kommt hinzu, dass die USA immer häufiger auf extraterritoriale Sanktionen setzen und damit in wachsendem Maße auch deutsche Unternehmen zwingen, sich zwischen dem US-amerikanischen und anderen Märkten zu entscheiden. Damit schmälern sie die politischen Spielräume Berlins und der EU und vor allem den Profit.

Was tun? Bislang haben Berlin und Brüssel jeweils mit Ad-hoc-Maßnahmen reagiert, ohne damit Erfolge zu erzielen. Dass die EU in Reaktion auf die Trumpschen Stahlstrafzölle eigene Strafzölle auf US-Whiskey und Harley-Davidson-Motorräder verhängt hat, hat wenig gebracht. Der Versuch, Washingtons extraterritoriale Iran-Sanktionen mit dem Finanzvehikel Instex („Instrument in Support of Trade Exchanges“) auszuhebeln, ist wirkungslos verpufft. Recht ungemütlich könnte es bald auch in China werden: Gegen die informellen Boykotte etwa gegen Adidas, mit denen die Volksrepublik auf EU-Sanktionen reagiert, hat Brüssel bislang kein Mittel gefunden. Gravierende Probleme drohen auch wegen Pekings neuer Anti-Blocking-Verordnung, die es – parallel zu einer älteren EU-Vorschrift – Unternehmen mit einem Standort in China untersagt, Sanktionsgesetze fremder Staaten einzuhalten. In Ministerialbürokratien sowie in Denkfabriken rumort es schon länger: Wollen Deutschland und die EU ihre großspurigen Weltmachtansprüche umsetzen, müssen neue Waffen für den Weltwirtschaftskrieg her.

Die EU-Kommission hat im September 2020 angekündigt, sie wolle ein Instrument schaffen, um „Zwangsmaßnahmen von Drittstaaten“ abzuwehren – das „Anti-Coercion Instrument“. Eingebunden sind Regierungsmitarbeiter und Wirtschaftsvertreter aus Deutschland, Frankreich und Spanien, aus den Niederlanden, Schweden sowie der Tschechischen Republik, darüber hinaus zeitweise auch Spitzenpersonal aus dem Auswärtigen Amt und aus der EU-Kommission. Vergangene Woche hat eine Task Force ihr jüngstes Konzeptpapier vorgelegt; darin plädiert sie nicht nur für die Gründung eines „EU Resilience Office“ – einer Art Zentrale für das Führen von Wirtschaftskriegen –, sondern diskutiert auch konkrete Maßnahmen wie Strafzölle, Einschränkungen für ausländische Firmen in der EU sowie Gegensanktionen. Im Gespräch sind auch diverse weitere Optionen, nicht zuletzt die Schaffung von Wegen, Handel ohne jeglichen Rückgriff auf den US-Dollar zu treiben, etwa mit einem „digitalen Euro“. Wie weit die Maßnahmenpalette reichen könnte, zeigt der erst kürzlich diskutierte Vorschlag, man könne Russland vom Zahlungssystem SWIFT abkoppeln – auf Initiative der EU.

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"Neue Waffe im Wirtschaftskrieg", UZ vom 2. Juli 2021



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