Ausgerechnet am LL-Wochenende, auch für die Partei „Die Linke“ traditioneller Jahresauftakt, gab es Zoff. Als führende Politiker der Partei – unter ihnen die Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger, und die der Bundestagsfraktion, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch – und ihre Gäste wie jedes Jahr am Sonntagmorgen in der Gedenkstätte der Sozialisten der von Freikorps ermordeten Revolutionäre, vor allem Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts, gedachten, zeigte man noch Einigkeit. Am Nachmittag fehlten die Parteivorsitzenden bei einer Veranstaltung im Berliner Kino „Kosmos“, auf der u. a. Wagenknecht und Lafontaine sprachen. Kipping und Riexinger hatten bereits am Freitag und Sonnabend auf einem Empfang und auf Gremienberatungen der Partei ihre Positionen dargelegt.
Und das aus gutem Grund. Sahra Wagenknecht hatte nämlich in einem vorab bekannt gewordenen „Spiegel“-Interview die Forderungen ihres Ehemannes Oskar Lafontaine nach Gründung einer linken Sammlungsbewegung aufgegriffen. „Wir brauchen eine linke Sammlungsbewegung, eine Art linke Volkspartei, in der sich Linke, Teile der Grünen und der SPD zusammentun“, hatte Lafontaine erklärt. In der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ stellte er klar, was gemeint ist: Sie soll „nicht nur die klassischen Parteien, sondern auch Gewerkschafter, Sozialverbände, Wissenschaftler, Kulturschaffende und andere umfassen“.
Nun folgte der nächste Vorstoß in diese Richtung. Auf die Frage des Interviewers „wollen Sie eine Neuordnung des Parteiensystems und eine linke Sammlungsbewegung wie Ihr Mann“ antwortet Sahra Wagenknecht: „Wir sehen doch, dass die traditionellen Parteien an Akzeptanz verlieren. In dem Augenblick, wo etwas Neues entsteht, wachsen die Chancen auf andere Mehrheiten. In Frankreich hat Macron die Präsidentschaftswahl gewonnen. Aber noch bemerkenswerter war: Der Linke Jean-Luc Mélenchon hat mit seiner Bewegung ‚La France insoumise’ aus dem Stand knapp 20 Prozent erreicht.“ Und auf die folgende Frage „Warum kann die Linke als Partei diese Rolle nicht übernehmen?“ entgegnet Wagenknecht: „Mit der Linken hat sich erstmals links von der SPD eine relevante Kraft etabliert. Aber wir stehen bei zehn Prozent. Das reicht nicht, um Politik wirklich zu verändern. Um eine linke Volkspartei zu werden, müssten wir noch viel an Breite und Akzeptanz gewinnen. Das wäre auch ein Weg, aber er würde länger dauern.“
Offensichtlich hat da jemand keine Geduld, diesen wahrscheinlich längeren, gewiss aber schwierigeren Weg weiterzugehen, mit und in der eigenen Partei um linke Bündnisse zu ringen? Die Kommunistische Plattform, zu der Wagenknecht vor vielen Jahren gehörte, erklärte am Sonntagabend: „Wir sind bereit, diesen längeren Weg zu gehen, uns den Mühen der Ebenen zu stellen. Für einen Erfolg gibt es keine Garantie. Spaltung allerdings ist wohl auch kein Weg nach vorn.“ Oder hat der Vorstoß von Lafontaine und Wagenknecht politische Gründe? Geht es um einen Machtkampf, wie die bürgerlichen Medien meinen? Oder um eine Neuorientierung? Von beiden gab es in den vergangenen Monaten Äusserungen, die im Widerspruch zur bisherigen internationalistischen, solidarischen Flüchtlingspolitik der eigenen Partei stehen.
Wagenknecht meint – wie auch Lafontaine – zudem, dass man eine solche neue Bewegung oder „Volkspartei“ von „oben“ gründen kann: „Am Ende kann es nur funktionieren, wenn prominente Persönlichkeiten mitmachen, die den Menschen die Hoffnung zurückgeben, dass sich politisch etwas in ihrem Sinne bewegt.“ Solche Illusionen sollten diesen erfahrenen Politikern eigentlich fremd sein. Und die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, hat Recht, wenn sie in ihrer Neujahrsrede erklärte: „Erfolgreiche Neugründungen entstehen nicht als Idee im Interview, sondern aus gesellschaftlichen Bewegungen.“
Der Zeitpunkt des Wagenknecht-Interviews war, von wem auch immer, gut gewählt, um möglichst große Unruhe – und das nicht nur in der Linkspartei – zu erzeugen. Die mediale Aufmerksamkeit war Wagenknecht auch jetzt garantiert. Und das Ganze wirkte wie eine Inszenierung.
Wie auch ihr Auftritt am Sonntagnachmittag im Kino „Kosmos“. „Ich finde das wirklich merkwürdig und teilweise abenteuerlich, was da so geschrieben und diskutiert wird … Und am groteskesten ist der Vorwurf, ich hätte den Wunsch die Linke zu spalten.“ Es gehe doch darum, „dass wir größer werden.“ Und „natürlich geht es auch darum, dass wir die Linke als Partei stärken“.
Einst lief Sahra Wagenknecht am zweiten Sonntag im Januar mit an der Spitze der alljährlichen Luxemburg-Liebknecht-Demonstration. Sie galt als die wichtigste Vertreterin der kommunistischen Linken in der Partei. – Das ist schon lange Geschichte.