FDP erhält Zuspruch aus anderen Parteien

Neue Angriffe auf das Streikrecht

Das Streikrecht liegt unter Dauerfeuer: Für die erste Salve ließ Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), der bei diesem Thema „keine Denkverbote“ kennt, Mitte März seinen Generalsekretär Bijan Djir-Sarai von der Kette: Lokführer im Arbeitskampf, von einer „maßlosen Streikgier“ befallen, hätten „das ganze Land monatelang in Geiselhaft genommen“.

Da es so „in Zukunft nicht weitergehen“ könne, schwebt den Liberalen ein neues Streikeinschränkungsgesetz vor: Streiks nur noch befristet, die Schlichtung verpflichtend. Verhandlungsführer, die für die Beschäftigten beinhart streiten, sollen durch Fügsame ausgetauscht werden.

Der Vorstoß der FDP kommt bei den von Bahnstreiks, Bauernprotesten und Arbeitskämpfen im ÖPNV gebeutelten Politikern der bürgerlichen Parteien auf Bundes- und Landesebene gut an. Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) meinte, er finde es „auch inzwischen nicht mehr nachvollziehbar, was die GDL fordert“. Der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck meint, Streiks könne sich eine im Abstieg befindliche Wirtschaftsnation „in der Tat im Moment nicht leisten“. Und die SPD-„Verkehrsexperten“ im Bundestag, Udo Schiefner und Isabel Cademartori, vermissen das nötige „Verantwortungsbewusstsein“ sowie „Maß und Mitte“ bei den Streikenden.

Die CDU, wie die FDP begeistert von der Idee eines Streikgesetzes, träumt sich als Begründung das angeblichen Versagen des Bundesarbeitsgerichts herbei. Das nämlich habe seit Einführung des Grundgesetzes „das Streikrecht stetig zugunsten der Arbeitnehmerseite weiterentwickelt“, so Gitta Connemann, Vorsitzende der Mittelstandsunion. Die Wahrheit ist, dass sich Arbeiter und Arbeiterinnen das Streikrecht immer nehmen mussten. Weder Weimar noch die Bundesrepublik gossen das Recht zum Arbeitskampf in ein Gesetz, selbst im Grundgesetz (GG) ergibt es sich erst durch „Auslegung“ des Artikels 9 Abs. 3 GG.

Da gesetzlich nicht geregelt, entschied seit 1953 allein das Bundesarbeitsgericht (BAG) über Grund und Grenzen des Streikrechts. Und das hat dafür gesorgt, dass aus dem ungeschriebenen Grundrecht auf Streik ein Arbeitskampf-Verhinderungsrecht wurde. Denn geprägt hat die Streikrechtsprechung des BAG von Beginn sein erster Präsident Carl Nipperdey, der vor 1945 strammer Kommentator der Reichsarbeitsgesetze war. Nipperdey hielt Streik für einen Fremdkörper im „völkischen Zusammenleben“. Auf ihn geht die Beschränkung des Streikrechts auf „tarifliche Angelegenheiten“ zurück, die bis heute dafür sorgt, dass Generalstreiks und politische Streiks für unzulässig gehalten werden.

In 70 Jahren Rechtsprechung wurden um das Streikrecht ständig neue Schranken gezogen, wie die „Friedenspflicht“, das Schlichtungsprimat (Streik als „letztes Mittel“) und das „Verhältnismäßigkeitsprinzip“. Schranken, die – wie das vom Bundesverfassungsgericht 2018 und vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 2023 verfügte Verbot des Beamtenstreiks – dazu geführt haben, dass das bundesrepublikanische Streikrecht weit hinter die Standards des Art. 6 Europäische Sozialcharta zurückgefallen ist. Auf 34 Seiten rügte im März 2023 das „European Committee of Social Rights“, das die Einhaltung der Sozialcharta überwacht, die deutschen Arbeitsrichter.

Sichtbare Folgen hatte das nicht. Im Gegenteil: Aktuell will eine Allparteienkoalition bei Streiks im Bereich der „kritischen Infrastruktur“ die Axt erneut ans Streikrecht legen. Die Platte ist nicht neu, sie wird bei jeder größeren Streikwelle im öffentlichen Sektor abgespielt. 2015 forderte die CDU/CSU eine Novelle des Streikrechts: „Die aktuellen Tarifauseinandersetzungen haben jedoch gezeigt, dass beim Streikrecht noch eine Regelungslücke besteht“, beklagte damals der CSU-Bundesratsminister Marcel Huber. Die Beschäftigten in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, im Nah- und Fernverkehr sollten sich durch „Regelungslücken“ nicht beirren lassen. Die Regeln stellen die auf, die das Streikrecht verteidigen, indem sie es anwenden.

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"Neue Angriffe auf das Streikrecht", UZ vom 26. April 2024



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