Im Sommer hatte der direkt gewählte Abgeordnete Sören Pellmann vorgeschlagen, dass der Richtungsstreit in der Partei „Die Linke“ auf einem Parteikonvent diskutiert werden sollte, an welchem auch Interessierte aus der Parteibasis teilnehmen könnten. Monate zuvor war von der Kommunistischen Plattform in der Linkspartei ein Sonderparteitag gefordert worden, um die Stimmen von Aktivisten von der Basis einzubinden. Doch als der Parteivorstand am Wochenende über die Strukturierung der weiteren Diskussion beriet, fand der Vorschlag für eine außerordentliche Beratung offensichtlich keine Mehrheit. So betonte Parteichefin Janine Wissler auf der anschließenden Pressekonferenz, dass die Satzung keinen Konvent vorsehe und die Mitglieder ja bereits in Regionalkonferenzen in die Debatte sowie in strategische und organisationspolitische Fragen eingebunden wurden.
Wissler fasste den Vorschlag von Pellmann verkürzt zusammen: Es gehe um ein „Zusammenkommen von Bundestagsfraktion und Parteivorstand“ und stellte am Montag dieser Woche fest: „Dazu haben wir für heute Abend eingeladen.“ Gemeint war die Online-Videokonferenz mit den Landessprecherinnen und -fraktionsvorsitzenden im Nachgang der Vorstandstagung. Die Idee, „die vielleicht manche hatten, dass man alle einlädt, ist in einer Partei mit 50.000 Menschen so nicht möglich“, stellte die Vorsitzende dar. Immerhin finde im Herbst der Bundesparteitag statt, so Wissler. Für den sogenannten „Europaparteitag“ im November steht die viel diskutierte programmatische Neuausrichtung an.
Vorher jedoch, nämlich am 4. September, soll innerhalb der Bundestagsfraktion ein neuer Vorstand bestimmt werden. Das Erst-Vorschlagsrecht liegt beim Parteivorstand. Dieser führe viele Gespräche, so Wissler, Zwischenergebnisse drangen bislang nicht an die interessierte Öffentlichkeit. Wichtig sei laut der Vorsitzenden, dass sie sich als „,Linke‘ neu aufstellen, damit sie erfolgreich ist“. Wie die Neuaufstellung konkret aussehen soll, dazu verrät die Führung wenig, auch wenn sie am Wochenende einen ersten Entwurf für ein EU-Wahlprogramm (von ihr „Europawahl“ genannt) diskutiert hat. Dass sich Wissler mit Einblicken zurückhält, bis die Beratung mit den Landesverbänden abgeschlossen ist, ist nachvollziehbar – auch wenn es mit dem offen pluralen Charakter der Linkspartei bricht.
Die internen Strömungen um Bewegungs- und Regierungslinke diskutieren jedoch offen, wohin die Reise gehen soll. So erklärte Bodo Ramelow, der Ministerpräsident des Freistaats Thüringen mit Parteibuch von „Die Linke“, gegenüber der „Frankfurter Rundschau“ (FR) im Interview: „Ein Ende der Fraktion im Bundestag ist nicht das Ende der Welt. Eine Fraktion, die sich im Kern nur noch gegenseitig in Schach hält, braucht auch niemand. Und es nervt all jene, die als Linke in den Ländern gute Arbeit leisten und Politik für die Menschen machen. Ja, und es stört im Wahlkampf.“
Am Ende gehe es aber nicht nur um das Erschließen neuer Wählerschichten in den viel besprochenen sogenannten „urbanen Milieus“ – also vor allem kleinbürgerlich geprägte Akademiker –, sondern auch um die staatspolitische Verantwortung, der sich die Regierungslinken als bessere sozialdemokratische Parteioption verschrieben haben. Dabei gilt, dass das Kapital diktieren kann, welche Positionen eine Partei als „nicht-regierungsfähig“ qualifiziert: Und zwar dann, wenn diese seinem Akkumulations- und Expansionsdrang im Wege steht.
Da passt eine linke Partei, die sich konsequent gegen Hochrüstung und NATO-Kriegspolitik stellt, genauso wenig wie eine Partei, die sich gegen die militaristische, neoliberale und undemokratische Europäische Union stellt. Im Sinne der Kampagne der Parteiführung gegen antimilitaristische Grundsatzpositionen stellt Ministerpräsident Ramelow, der sich für deutsche Waffenlieferungen stark macht, zum Beispiel EU-kritische Positionen als nationalistisch und im Sinne der politischen Rechten dar.
So führte Ramelow im Interview mit der FR weiter aus: „Es gibt in Thüringen 90 Weltmarktführer! Die sind auf Märkten unterwegs, die am stärksten in Europa sind. Wer Europa beziehungsweise die EU infrage stellt, wie es Björn Höcke mit dem Satz ‚Diese EU muss sterben‘ auf dem AfD-Europaparteitag getan hat, den wird man stellen, indem man fragt: Ja, was heißt das denn für Thüringen? Denn Verlust der Absatzmärkte heißt Wirtschafts- und Arbeitsplatzverlust, heißt Rezession und Arbeitslosigkeit.“
Über diese Aussagen gibt es in der Partei keinen Aufschrei, auch nicht bei Carola Rackete, die zu den Spitzenkandidaten für die EU-Parlamentswahl zählt. Im Interview mit dem Online-Portal „table.media“ sprach sie sich zwar gegen standortnationalistische Positionen aus, um dann aber in den Chor der Neuausrichtung einzustimmen: „Wir brauchen in Deutschland eine Partei links der Grünen, die kritische Fragen in Bezug auf gerechte Verteilung und Wirtschaftswachstum stellt. (…) Eine Spaltung ist natürlich die Krise, die von allen versucht wurde zu vermeiden. Aber sie kann auch eine Chance sein, um dann nach vorne zu gehen.“ Ob diese Spaltung zementiert wird, wird sich bei der Neuwahl des Fraktionsvorstands zeigen. Dass sich die Parteiführung zwar siegessicher gibt, aber dabei mit allen Optionen spielt, verriet Ko-Vize Katina Schubert im Interview mit der ARD. Der Termin am 4. September sei nicht in Stein gemeißelt.