Geboren in Nürnberg, gestorben in Nürnberg – ein verkannter weiblicher Albrecht Dürer? Oder nur eine mittelfränkische Provinzkünstlerin? Mal sehen.
Jedenfalls gehört sie zu den Unzähligen, die vom bürgerlichen Kunstbetrieb lange Zeit völlig totgeschwiegen wurden. Den 8. Mai 1945 bezeichnete sie gern als ihren zweiten Geburtstag. Denn Dorothea (Doris) Richter – so ihr Mädchenname – wurde an genau diesem Datum im Jahr 1908 geboren. Nach Kriegsende – befreit von dreijähriger Zwangsarbeit im Nürnberger Transformatorenwerk Siemens-Schuckert, wohin die Nazis sie abkommandiert hatten – startet die Siebenunddreißigjährige politisch und künstlerisch nach quälender Zwangspause dann so richtig durch. „Sie spielte beim Aufbau eines demokratischen Kunstlebens nach 1945 eine aktive Rolle“, befand die UZ am 18. Dezember 1980 in ihrem Nachruf.
75 Jahre danach ist das umfangreiche Werk von Dore Meyer-Vax in ihrer Heimatstadt ausgestellt unter dem Titel „Engagierte Kunst“. Anlässlich ihres 40. Todestags widmet ihr die KunstVilla eine große Retrospektive mit über 100 Gemälden, Zeichnungen und Druckgrafiken; erstmals entstand dabei dank der Kuratorin Dr. Andrea Dippel ein Werkverzeichnis des nach dem Tod der Künstlerin in alle Winde verstreuten Nachlasses.
Die Tochter wohlhabender Abziehbildchenfabrikanten löste sich vom Elternhaus und ging nach einigen Semestern in Angewandter Kunst zum Kunststudium an die Berliner Akademie der Künste. Dort begegnete sie ihrem späteren Mann, dem Maler Walter Meyer, der sie künstlerisch sichtbar beeinflusste und nach der Heirat übrigens ihren Doppelnamen übernahm. Im Umfeld der „Asso“, einer KPD-nahen Künstlervereinigung, freundete sich das Paar mit dem etwa gleichaltrigen Felix Nussbaum an, mit dem sie auch in dessen Exil in Brüssel die Verbindung hielten. Der jüdische Maler und seine Frau Felka Platek wurden 1944 in Auschwitz ermordet. Seine Gemälde tauchten erst in den 70er Jahren wieder auf – unter ihnen ein Ölporträt des Ehepaars Meyer-Vax.
Verfemt von den Nazis, erhält Dore Meyer-Vax 1933 Ausstellungsverbot. Mit ihrem Mann versucht sie sich in der „Inneren Emigration“ irgendwie als Freischaffende durchzuschlagen. Dann wird der 38-Jährige eingezogen und stirbt 1942 vor Stalingrad. Ein Jahr darauf verbrennt bei einem Luftangriff fast das gesamte Werk der beiden; Dores Frühwerk wird zerstört.
Immerhin: Sie überlebt und fängt noch einmal von vorn an. In ihrem Nachkriegswerk dominieren zunächst Bilder von Ruinenlandschaften und von Krieg und Faschismus traumatisierten Menschen, wie in „Buchenwaldkind“, Linoldrucke, die an Käthe Kollwitz erinnern. Dies nicht zuletzt, weil zu dieser Zeit Mutter-Kind-Szenen oder junge Frauen und Mädchen zu Dores wichtigen Motiven gehören, darunter auch versonnen-harmonische Ölgemälde wie „Mädchen im Sessel“ aus dem Jahr 1949.
Bis zu ihrem Tod lebt und arbeitet sie lange Jahre durchaus erfolgreich in der mittelfränkischen Großstadt und hinterlässt mancherorts sogar eine äußerlich sichtbare Signatur. Denn hin und wieder gibt die Stadtverwaltung die Gestaltung öffentlicher Gebäude bei ihr in Auftrag: Für die Vorhalle des Luitpoldhauses, der heutigen Stadtbibliothek, oder für den Flur der Musikhochschule. Nicht umsonst hat sie einst im Berliner Studium mit den „murales“, mit Wandmalerei, beschäftigt. Diese großflächigen Wandgrafiken sind nur zum Teil noch am einstigen Standort erhalten.
Was sie zeitlebens umtrieb, war das beklemmende Gefühl „Es nimmt nie ein Ende“. Nach dem „Nie wieder!“ sah sie bald die Wiederkehr von Krieg, Unterdrückung und Ungerechtigkeit um sich herum. Doch lässt sie sich davon nicht lähmen. 1946 ist sie dabei, als die „Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit“ in Nürnberg gegründet wird, wie auch später bei der Gründung der „Deutschen Friedensunion“, für die sie 1966 sogar für den Stadtrat kandidiert.
Mit den beiden KPD-Stadträtinnen Kunigunde Schumann-Schwab und Anni Finger versteht sie sich gut. Dore ist selbst Mitglied der KPD, außerdem aktiv in der VVN. Unbeirrt und streitbar verbindet sie politisches Engagement mit künstlerischem: Bei der Kampagne „Künstler gegen den Atomkrieg“ (1959 – 1963) zusammen mit Carlo Schellemann, Lea Grundig, Frans Masereel und anderen wie auch bei der Wanderausstellung „Künstler werben für den Frieden“ und der „Gruppe Tendenzen“, die sich nach der von dem marxistischen Kunsthistoriker Richard Hiepe gegründeten Zeitschrift „tendenzen“ nennt.
Mut und Freude an der Provokation beweist sie mit politischen Persiflagen. Mitten hinein in den Trubel des Dürer-Jubiläumsjahrs 1971 deutet sie sein Werk „Ritter, Tod und Teufel“ radikal um, bezogen auf die bundesrepublikanischen Realitäten. So wird der Ritter zum todbringenden Aggressor und Militaristen. Ähnlich kompromisslos fallen ihre Illustrationen zu „Die sieben Todsünden der Kleinbürger“und anderen Werken Bert Brechts aus. Sie thematisiert den Vietnamkrieg und die – letztlich erfolgreiche – Solidaritätsbewegung für die Bürgerrechtlerin Angela Davis. Das Fahndungsplakat des FBI von 1970 liefert die Vorlage für einen Linolschnitt von der jungen Kommunistin. In diesen Tagen ist Angelas schönes Gesicht unter der imposanten Afro-Frisur der Hingucker an Litfaßsäulen – als Werbeplakat für die Sonderausstellung! (1)
In der DDR genoss Dore Meyer-Vax hohe Anerkennung. Unter anderem war sie 1965 bei der Berliner Internationalen Grafikschau zu „Frieden und Abrüstung“ vertreten und auf Ausstellungen in Dresden und Rostock. Wer sich überhaupt für fortschrittliche Kunst interessierte, konnte ihre Bilder gelegentlich in Nürnberg selbst oder in München, Bremen und Würzburg besichtigen. Dazu kamen Präsentationen in Polen, Jugoslawien, Österreich und Italien – bis zu ihrem Tod am 3. Dezember 1980.
Vor fünf Jahren, am 19. 2. 2015, berichtet die UZ über eine hochambitionierte Ausstellung des Vereins „Kunst für Frieden“ anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung. In dieser Sammlung mit Werken fortschrittlicher Kolleginnen und Kollegen wie Guido Zingerl, Marie Marcks und Fritz Cremer finden sich auch Bilder von Dore Meyer-Vax. Der Titel der Ausstellung hätte ein Zitat von ihr sein können: „Die Befreiung vom faschistischen Machtsystem und der Neuanfang – und wofür?“ Diese Frage hat sie mit ihrem ganzen Engagement zu beantworten versucht. Schon allein dafür hat diese besondere Werkschau in Nürnberg Beachtung verdient.
Wie es der Zufall manchmal will, ist die weltweite Kampagne um die Freilassung der vom elektrischen Stuhl bedrohten schwarzen Aktivistin Angela Davis genau in diesen Monaten Thema einer außergewöhnlichen Ausstellung in Dresden. Ausgangspunkt der von Kathleen Reinhardt kuratierten Werkschau ist die legendäre Postkartenaktion „1 Million Rosen für Angela“ in der DDR. Vielleicht ist auch das markante Linolschnitt-Porträt der Nürnbergerin dort zu finden?
1 Million Rosen für Angela
Lipsiusbau Dresden, 10. Oktober 2020 bis 24. Januar 2021, aktuell geschlossen.
Dore Meyer-Vax
Die zur Zeit geschlossene Ausstellung läuft noch bis zum 21. Februar 2021.
Ausstellungseröffnungsvortrag von Renate Winter