Nett war es am 1. Mai, sogar etwas zu nett. Die Sonne schien, die Demo schlenderte vor sich hin, man tauschte sich aus – ja, auch während andere Reden hielten. Von der Bühne kam eine Prise Kritik in diesen „schwierigen Zeiten“ an der „kalten Verwertungslogik der reinen Marktwirtschaft“, wie die ehemalige SPD-Generalsekretärin und heutige DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi es formulierte. Der Rest ist Selbstzufriedenheit: Die „Entlastungspakte“ der Bundesregierung trügen „unverkennbar“ die Handschrift der Gewerkschaften, erfolgreiche Tarifabschlüsse seien erstritten worden – in der Chemieindustrie, in der Metall- und Elektrobranche und bei der Post.
Diese Textbausteine lassen sich in vielen Reden bei den zahlreichen DGB-Veranstaltungen zum 1. Mai wiederfinden: Es sind schwierige Zeiten, die Inflation ist immer noch ganz schön hoch, gute Tarifabschlüsse deshalb umso wichtiger. Die Kritik an der Bundesregierung bleibt verhalten, mit den Preissteigerungen scheint sie nichts zu tun zu haben.
Wer anspricht, dass mit den genannten Tarifabschlüssen weiterer Reallohnverlust einhergeht, weicht vom DGB-Skript ab. Dabei gibt es durchaus Positives auszuwerten: Die Mobilisierung für die Warnstreiks bei der Post, der Bahn und im öffentlichen Dienst lief und läuft gut. Doch diese Stimmung war am 1. Mai kaum zu spüren.
Christiane Benner, die als zukünftige Vorsitzende der IG Metall gehandelt wird, sprach in Nürnberg davon, dass die aktuellen Tarifrunden „der Auftakt für eine wieder erstarkte Gewerkschaftsbewegung“ seien könnten. Das ist möglich. Der gemeinsame Streiktag von EVG und ver.di Ende März war ein gutes Zeichen dafür, dass der Internationale Frauentag als Streiktag genutzt wurde ein weiteres. Und auch die mobilisierende Wirkung der Forderung nach einem hohen Mindestbetrag, der vor allem für die unteren Lohngruppen wichtig ist, spricht dafür. Dagegen spricht allerdings, dass wieder einmal lange Laufzeiten vereinbart wurden. Dagegen spricht auch, dass Tarifabschlüsse im Nachhinein schöngeredet werden.
Wichtig für das Erstarken der Gewerkschaftsbewegung wäre ein erfolgreicher Tarifkampf der EVG – mit ungebrochener solidarischer Unterstützung anderer Gewerkschaften. Die Kolleginnen und Kollegen des öffentlichen Dienstes haben dazu die Gelegenheit, indem sie bei der gerade laufenden ver.di-Mitgliederbefragung das Tarifergebnis – und damit einen weiteren Reallohnverlust – ablehnen.