Selbstbestimmt in die Glotze gucken und sich nix dabei denken

Netflix sei Dank

Von Gretchen Kallenberg

Wieso sich von den TV-Sendern vorschreiben lassen, wann man einen Film sehen möchte? Die Sender selbst bieten ihre Mediatheken an, aber das Angebot ist dünn. Die Sender, nicht nur bei uns, sondern weltweit, geraten immer weiter in die Defensive, was die Quoten für ihre Filme und Serien angeht. Viel weiter sind da Firmen wie Netflix. Die bietet, nicht alleine aber führend, das sogenannte Streaming an, heißt, gegen Abogebühren kann sich der Nutzer aus einer riesigen Auswahl an Filmen und Serien das aussuchen, was er hier und jetzt auf seinem internetfähigen TV-Gerät schauen will. 1997 begann das Unternehmen als Online-DVD-Verleih in den USA und wurde sukzessive zum weltweit führenden Strea­mingportal von Serien, Filmen und Dokumentationen ausgebaut. Heute ist Netflix in 190 Ländern vertreten und bietet seinen Dienst in 20 Sprachen an. In den USA erreicht Netflix über 70 Millionen Haushalte, die Anzahl globaler Nutzer soll bis 2020 auf 150 Millionen ansteigen. Das bringt dann sehenswerte Geschäftszahlen: 2017 lag der Umsatz bei fast 10 Milliarden US-Dollar, der Gewinn kletterte auf über 200 Millionen US-Dollar, weltweit beschäftigt die Firma über 5 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das Geld wird mit dem Verkauf von Abonnements verdient, Werbeeinnahmen gibt es keine. In Deutschland zahlt man zwischen 8 und 14 Euro monatlich für ein Abo, je nach der Zahl der zugeschalteten Geräte.

Netflix-Gründer Reed Hastings

Netflix-Gründer Reed Hastings

( JD Lasica/flickr / Lizenz: CC BY 2.0)

Seinen Erfolg verdankt Netflix auch der Wandlung des Unternehmens vom reinen Verwerter zum Inhalte-Produzenten. 2013 veröffentlichte das Unternehmen sein erstes eigenständig produziertes Format, die von Star-Regisseur David Fincher konzipierte Polit-Thriller-Serie „House of Cards“. Mittlerweile sind weit über 100 Eigenproduktionen entstanden, von bekannten Regisseuren gemacht und Stars der Filmbranche gespielt. Netflix sammelt fleißig Daten über das Nutzerverhalten, dank komplexer Algorithmen in Kombination mit einem Redaktionsteam werden neue Angebote und Produktionen präzise vorbereitet und durchgezogen. Damit kann das Unternehmen zu einem gewissen Grad vorhersagen, welche Genres bzw. welche Genre-Kombinationen für die Nutzer besonders attraktiv sind und seine eigene Serien-Produktion danach ausrichten. Dieser Ansatz ist ein klarer Bruch mit der Hollywood-Tradition, nach der einzelne Personen – Studiobosse – lange Zeit nur vermuten konnten, was die Zuschauer interessieren könnte. Netflix weiß, was die Zuschauer interessiert. Bis auf Netflix selbst weiß niemand genau, wie viele Leute eine Serie auf der Plattform streamen. Für Netflix spielen Quoten laut eigener Aussagen keine Rolle, da das Geschäftsmodell auf dem Verkauf von Abos besteht. Stimmt natürlich nicht, denn manche Serien finden ein jähes Ende und viele Filme sind plötzlich nicht mehr zu finden. Dass Netflix jedoch stetig wächst und mit hohen Gagen sich die besten Regisseure, Schauspieler und Drehbuchautoren leistet, stört die traditionellen TV-Sender zunehmend. Vielleicht beginnt ihnen langsam zu dämmern, worüber es vor kurzem in der New York Times hieß, nämlich dass Netflix auf lange Sicht die gesamte TV-Industrie übernehmen wird, so wie es Amazon einst mit dem Einzelhandel getan hat.

Der Erfolg hat den Konzern naturgemäß zu einem Übernahmekandidaten gemacht. Konzerne wie Apple, Google, Alibaba und Disney, über deren Interesse immer mal wieder spekuliert wird, müssten jedoch rund 44 Milliarden für das Unternehmen bezahlen, so die Bewertung.

Gründer und immer noch Chef ist Reed Hastings, er macht sich die Stiftungspolitik seines Freundes Bill Gates zu eigen. Unter dem Deckmantel philanthropischer Haltung, gerne als „Giving Pledge“ bezeichnet (Ich verspreche, etwas herzugeben), engagiert sich Hastings für „gute Zwecke“. Die Milliarden, die er mit Netflix-Anteilen gemacht hat und weiterhin macht, steckt er in ein Bildungskonzept, sogenannte „Charter Schools“. Dieses Konzept will die Rahmenbedingen ändern und das Bildungssystem dem Wettbewerb ausliefern. Die Idee: Vertragsschulen sind von den herkömmlichen staatlichen Regulierungen befreit und basieren auf vertraglichen Vereinbarungen zwischen dem Schulmanagement und der Schulbehörde. Also noch mehr den Keil in gut finanzierte Privatschulen und mangelhaft ausgestattete staatliche Schulen treiben, Netflix will mit Hilfe sich verändernder Sehgewohnheiten es schaffen, möglichst alle Bereiche des gesellschaftlichen, d. h. auch des privaten Lebens, dem Profit zu unterwerfen.

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"Netflix sei Dank", UZ vom 20. April 2018



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