Großer Popularität erfreute sich in den 1980er und 90er Jahren in Schweden die Jagd auf sowjetische beziehungsweise russische U-Boote. Gefühlt blieb bei U-Boot-Alarm in Stockholm kein Gully ungeöffnet, um die Moskowiter in der Kanalisation zu jagen – immer wieder vergeblich. Nur das Ungeheuer von Loch Ness wird eifriger verfolgt. Vielleicht ist es deswegen kein Zufall, dass die allem Spukigen gegenüber aufgeschlossenen Briten jetzt den Staffelstab von den Skandinaviern übernommen haben. Am Montag dieser Woche verkündete jedenfalls der britische Verteidigungsminister John Healey in London: „Großbritannien und die JEF übernehmen bei der Unterstützung unserer Verbündeten eine Vorreiterrolle, um die Offshore-Infrastruktur, auf die wir alle angewiesen sind, vor potenziellen Bedrohungen zu schützen.“
JEF ist die Abkürzung für „Joint Expeditionary Force“. Dahinter verbirgt sich ein seit 2018 aktiver Zusammenschluss der skandinavischen Länder (Finnland, Schweden, Norwegen, Island, Dänemark), der drei baltischen Staaten (Estland, Lettland, Litauen) und der Niederlande unter Führung Britanniens.
JEF hat sozusagen von den Schweden die Suche nach russischen Schiffen aller Art geerbt und sie ausgedehnt – vom Ärmelkanal über Nord- und Ostsee bis kurz vor St. Petersburg. Heute kann zwar jedes Kind mit Hilfe von „Ship tracking“ im Internet herausfinden, welches Schiff sich gerade wo befindet, was es an Bord hat, woher es kommt und wohin es sich bewegt. Aber nichts stimmt, wenn es nicht der britische Geheimdienst MI-6 und seine Freunde in anderen Staaten „amtlich“ festgestellt haben. Vermutlich verdankt die Welt den Begriff „Schattenflotte“, mit der Russland angeblich die völkerrechtswidrigen Sanktionen des Westens zu umgehen versucht, den Londoner James-Bond-Kopien.
Am 12. Dezember hatte zwar der „Spiegel“ berichtet: „Alljährlich gibt es mehr als 150 bis 200 Beschädigungen durch Schleppnetzfischerei, Anker oder natürliche Ursachen wie Seebeben.“ Aber selbstverständlich weiß der MI-6: Putin steckt hinter allem.
In der vergangenen Woche schlug die große Stunde der Helden mit der Lizenz zum Blödsinn. Am 25. Dezember soll der mit Benzin beladene Tanker „Eagle S“ das Unterseekabel Estlink 2 sowie vier Telekommunikationskabel zwischen Finnland und Estland zerstört haben. Das Schiff wurde in Finnland etwas außerhalb des Seerechts festgesetzt. Von seiner angeblichen „Spionageausrüstung“, über die am 27. Dezember „Lloyd’s List“ aufgeregt berichtet hatte, wurde bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe von UZ am Dienstag allerdings nichts gefunden. Die britische Fachzeitung hatte ihre Behauptung aus einer anonymen „Quelle“ bezogen, für „ZDF-heute“ und „Tagesspiegel“, der von einer „Investigativrecherche“ in „Lloyd’s List“ fabulierte, waren das bereits Tatsachen. Der MI-6 lässt grüßen.
Auf jeden Fall war seine große Stunde gekommen, wie aus der Erklärung von Healey am Montag hervorging. Darin heißt es: „Die JEF hat ein modernes, von Großbritannien geleitetes Reaktionssystem aktiviert, um potenzielle Bedrohungen der Unterwasserinfrastruktur aufzuspüren und die russische Schattenflotte zu überwachen, nachdem Schäden an einem wichtigen Unterseekabel in der Ostsee gemeldet wurden.“ Die Operation habe den Namen „Nordic Warden“ erhalten und nutze künstliche Intelligenz. Wozu das, wenn alle Daten auch ohne Aufwand zu erhalten sind? Die Antwort steckt vermutlich in diesem Satz: „Die JEF-Aktion verstärkt bestehende und geplante Reaktionen der NATO.“ Womit der Zweck der Nessie-Suche erfüllt sein dürfte.
Schneller als John Healey war die deutsche Außenministerin. Sie wusste bereits am 28. Dezember alles über die „Eagle S“ und sagte den Zeitungen der Funke-Gruppe: „Der aktuelle Vorfall zeigt erneut: Die oft altersschwache russische Schattenflotte, zu der das von Finnland jetzt festgesetzte Schiff gehört, ist eine große Gefahr für unsere Umwelt und für unsere Sicherheit.“ Die nächsten Ostseemonster tauchen demnach bald auf.