Enteignungsdebatten um Rosneft

Nervenkrieg in Schwedt

Hauptsache, die Russen werden herausgedrängt – das ist offenbar der kleinste gemeinsame Nenner der Enteignungsdebatten um die PCK-Raffinerie in Schwedt, an der nicht nur 1.200 Arbeitsplätze, sondern auch rund 90 Prozent der Versorgung des neuen deutschen Ostens einschließlich der Hauptstadt Berlin hängen.

Mit Beginn der ersten Juniwoche, teilte der Berliner „Tagesspiegel“ am 27. Mai mit, werde unter Federführung des Bundeswirtschaftsministeriums eine interministerielle Arbeitsgruppe – eine „Task Force“ – eingerichtet, um das weitere Vorgehen gegen diesen störrischen Rest deutsch-russischer Energieversorgung aus der versunkenen Zeit der Entspannungspolitik zu beschleunigen.

Die gesetzlichen Voraussetzungen, um die Russen aus Schwerin zu vertreiben, hatte der Deutsche Bundestag am 12. Mai mit den Stimmen der Partei „Die Linke“ durch eine Reform des „Energiesicherheitsgesetzes“ geschaffen. Dadurch erhält die Exekutive die Möglichkeit, bei Teilen der „kritischen Infrastruktur“ im Falle einer „konkreten Gefahr“ Unternehmen unter treuhänderische Verwaltung zu stellen oder zu enteignen. Die Variante „Treuhänderschaft“, für die sich „Die Linke“ in Brandenburg stark gemacht hatte, scheiterte im Landtag an der dortigen Regierungskoalition aus SPD, Grünen und CDU. Auf Bundesebene deutet vieles darauf hin, dass das neue Instrumentarium vor allem genutzt werden soll, um das russische Unternehmen Rosneft zu verdrängen, das bislang 54,17 Prozent der Aktien an dem Unternehmen „Petrochemie und Kraftstoffe“ (PCK) hält, wie das Unternehmen bei Beibehaltung des Kürzels aus der DDR-Gründerzeit heute heißt. Dazu gibt es laut der Online-Zeitung „Telepolis“ in Kreisen der Bundesregierung die Neigung, den mit 37,5 Prozent zweitgrößten Anteilseigner Shell zu bewegen, die Rosneft-Anteile zu übernehmen. Angesichts der unsicheren Perspektiven der Folgen des Wirtschaftskriegs hält sich deren Begeisterung aber offenbar in Grenzen.

Die Aktien von Rosneft selbst befinden sich größtenteils im russischen Staatsbesitz, 14 Prozent der Aktien liegen beim chinesischen Energiekonzern CEFC. Mit dem Hinausdrängen von Rosneft schlüge die Ampelkoalition zwei Fliegen mit einer Klappe – mit Russland wären auch die Chinesen, die nach dieser Lesart via Rosneft ihren Fuß in die deutsche Ölversorgung gesetzt haben, ausgebootet.

Zeiten wie diese sind auch immer Zeiten wilder Gerüchte. So berichtet „Telepolis“ von der Bereitschaft des Energiekonzerns Alcmene, die Raffinerie zu übernehmen. Alcmene hat nicht nur einen Firmensitz, sondern gleich drei – einen in Litauen, einen in Irland und einen auf der britischen Kanalinsel Guernsey. Mit dem deutschen Unternehmen Verbio stünde zudem jemand in der Schlange der Bewerber, der Biokraftstoffe produziert. „Wir könnten am Raffineriestandort Schwedt demonstrieren, wie sich die Transformation von fossilen zu erneuerbaren Energien gestalten lässt. Schwedt ist dafür ideal“, wird Verdio-Vorstandschef Claus Sauter vom „Handelsblatt“ zitiert.

Bei all diesen Gedankenspielereien geraten zunehmend die Interessen der Arbeiter und Angestellten von PCK aus dem Blickfeld. Mahnend, aber auch ein wenig hilflos forderte die Gewerkschaft IG-BCE angesichts der wild in Kraut schießenden Debatten um die Zukunft der PCK, die vollmundigen Versprechungen des Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck, es werde niemand im Regen stehen gelassen, nun auch zu konkretisieren. Vermutlich wird das nicht die Priorität der eingerichteten „Task Force“ sein.

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"Nervenkrieg in Schwedt", UZ vom 3. April 2020



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