„Neoliberal oder links ist für uns kein Thema“

Olaf Matthes im Gespräch mit Lukasz Szopa

Lukasz Szopa arbeitet als Lyriker und Übersetzer und lebt in Berlin. Dort gründete er mit anderen Polen eine Gruppe der Demokratiebewegung KOD („Komitee zur Verteidigung der Demokratie“, Komitet Obrony Demokracji). KOD bekämpft die Politik der polnischen Regierung, die versucht die Rechte des Verfassungsgerichts einzuschränken und die öffentlichen Medien unter ihre Kontrolle zu bringen.

UZ: Ist Polen heute eine Demokratie?

Lukasz Szopa: Noch ja. Ich unterstreiche das, weil es in Polen nicht nur die zentrale Ebene der Machtausübung gibt, sondern auch zum Beispiel die kommunale Ebene. Die Demokratie ist noch da, aber einige ihrer wichtigen Bestandteile sind so gelockert worden, dass man nicht mehr von einer stabilen Demokratie reden kann. Was die zen­trale Ebene angeht, ist das eine gefährdete Demokratie.

UZ: Sie nennen sich KOD, „Komitee zur Verteidigung der Demokratie“. Gegen wen verteidigen Sie die Demokratie?

Lukasz Szopa: Gegen jeden, der versucht, sie zu schwächen, zu untergraben, zu zerstören. Gegen die Regierung der PiS („Recht und Gerechtigkeit“), die die absolute Mehrheit im Parlament hat. Aber auch gegen einige Oppositionsparteien, die klein sind, aber in eine ähnliche Richtung denken. Wir sind gegen die Abgeordneten, egal welcher Partei, die mit ihren Aussagen und mit ihrem Abstimmungsverhalten für Sachen stehen, die unserer Meinung nach Demokratie untergraben oder sogar zerstören könnten. Wir sind auch gegen den Präsidenten Andrzej Duda, solange er nicht als Präsident aller Polen agiert, sondern als Marionette von Jaroslaw Kaczynski.

UZ: Wofür kämpfen Sie? Dafür, dass in Polen alles so wird wie vor einem Jahr, bevor die PiS an die Regierung gekommen ist? Dafür, dass die PO („Bürgerplattform“) wieder an die Regierung kommt oder dass die Partei „Die Moderne“ (Nowoczesna) die Regierung übernimmt?

Lukasz Szopa: Auf keinen Fall. Wir wollen keine Rückkehr zu dem, was vor der PiS-Regierung war, weil wir auch die damalige PO-Regierung sehr kritisch sehen. Auch die PO hat sehr selbstherrlich regiert. Wir sind nicht für die PO oder für „Die Moderne“. Wir möchten, dass aus den Fehlern, die in den vergangenen Monaten passiert sind, Schlüsse gezogen werden: Wir wollen gewisse Mechanismen einbauen für die Zukunft, damit solche Vorfälle nicht mehr möglich sind – egal, welche Partei oder Koalition an die Macht kommt. Es geht uns um Änderungen an der Verfassung, um Sicherungen in der Verfassung, die so etwas nicht erlauben. Wir arbeiten daran, ein eigenes Gesetzesvorhaben durch eine Bürgerinitiative ins Parlament zu bringen. Dieses Gesetz soll regeln, dass das Verfassungsgericht nicht so leicht blockiert oder boykottiert werden kann, wie es die Regierung jetzt versucht.

UZ: In welchem Verhältnis steht das KOD zu Parteien wie der PO oder „Die Moderne“?

Lukasz Szopa: Die Punkte, die uns interessieren, sind das Verfassungsgericht und andere Sachen, bei denen es darum geht, die Demokratie zu schützen: Gewaltenteilung, offene Medien, Freiheit des Individuums. Darüber hinaus interessieren uns die Programme der anderen Parteien nicht. Ob eine Partei neoliberal ist oder links oder ob sie für die Bauern eintritt ist für uns kein Thema.

UZ: Sie würden sagen: Links oder rechts ist nicht der entscheidende Unterschied?

Lukasz Szopa: Es geht um das System. Können wir es schaffen, das System zu erhalten, in dem die Bürger überhaupt zwischen links und rechts wählen können? Was sie dann wählen, wenn sie frei wählen können, interessiert uns eigentlich nicht. Außer, wenn das Ergebnis wieder das gleiche ist wie jetzt: Wenn Parteien gewählt werden, die die Demokratie an sich abschaffen wollen oder gefährden.

UZ: Es gibt einen Bericht über eine KOD-Kundgebung in Poznan. Da habe ein Redner die anderen Parteien kritisiert, und er habe auch „Die Moderne“ kritisiert. In dem Moment sei ihm der Strom für das Mikro abgedreht worden. Ist Kritik an „Die Moderne“ bei Ihnen nicht erwünscht?

Lukasz Szopa: Man müsste in Poznan nachfragen, wie das genau abgelaufen ist. Ich kann mir aber vorstellen, dass es so einen Vorfall gegeben hat. Das KOD ist keine Partei, es hat keine richtig gut organisierte Struktur. Ich weiß nicht, ob das vielleicht ein anderer KOD-Aktivist war, der aber für „Die Moderne“ ist. Vielleicht hat ihm nicht gefallen, dass da ein Bruder im politischen Geiste kritisiert wird. Vielleicht hat er gedacht: Wir haben gesagt, wir äußern uns hier nicht zu Parteien – weder positiv, indem wir eine Partei anpreisen, noch kritisch, indem wir sagen: „Die Moderne“ hat das oder das gemacht. Solche Vorfälle kann ich mir leider durchaus vorstellen.

Aber das Positive an solchen Sachen ist, dass das KOD sehr dezen­tral organisiert ist. Da kann niemand aus dem Vorstand kommen und sagen: Wenn jemand dies oder das sagt, dreht ihr ihm das Mikro ab. So etwas wie dieser Vorfall, den es in Poznan möglicherweise gegeben hat, ist zwar unschön, aber es ist ein lokales Problem von Leuten, die autonom handeln. So etwas kann bei oft sehr spontan ablaufenden Demos passieren.

UZ: Heißt dezentral organisiert nicht auch, dass gar nicht klar ist, wofür die Bewegung eigentlich steht?

Lukasz Szopa: Theoretisch nein. Es gibt ein Manifest des KOD, das beschreibt, wofür wir stehen – theoretisch ist das ganz klar. Auch, wofür wir nicht mehr stehen. Aber da gibt es natürlich auch Schwierigkeiten. Wir sind eine sehr spontane Bewegung, im letzten Jahr waren plötzlich in einigen Großstädten tausende Leute auf der Straße. Und man will ja nicht auftreten wie eine Sekte, wo nur zwei, drei ausgewählte Redner was zu sagen haben. Man lädt – das machen wir auch hier in Berlin oft – die Leute, die zur Demo mitgekommen sind, spontan ein: Wer möchte noch etwas sagen? Das ist schön, aber es birgt auch Gefahren. Wir wissen nicht, was die Person sagen wird. Was ist, wenn derjenige provozieren will? Das ist ein spannendes Experiment. Mir ist es lieber, dass Fehler passieren, als dass zu viel kontrolliert wird.

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"„Neoliberal oder links ist für uns kein Thema“", UZ vom 13. Mai 2016



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