Erpressung und Verhandlung – Griechenland vor dem Referendum

„Nein“ heißt was?

Von Olaf Matthes

Eine weitere Überraschung in den Verhandlungen zwischen Griechenland und den Gläubigern bot Wolfgang Schäuble: „Jedes Volk ist souverän, welche Regierung es wählt. Da mischt man sich von außen nicht ein“, sagte der Finanzminister am Montag im Brennpunkt-Interview, „genau wie es das Recht Griechenlands ist, ein Referendum durchzuführen.“ Nachdem sich die EU-Oberen gründlich in die Vorbereitungen zum Referendum einmischen, nachdem bei jeder griechischen Parlamentswahl der letzten Jahre deutsche Politiker einen Wahlsieg der Linkspartei Syriza abzuwehren versuchten, nachdem die EU Volksabstimmungen über Fragen der Europapolitik entweder verhindert oder wiederholt hat, bis das Ergebnis passte, sind solche demokratischen Lippenbekenntnisse eines Spardiktators eine Abwechslung.

Das griechische Volk ist aufgerufen, über den Vorschlag der Gläubiger vom 25. Juni abzustimmen. Gegenstand dieses Vorschlages war die Verlängerung des zu diesem Zeitpunkt noch laufenden „Hilfsprogrammes“, also der letzten Verpflichtung für die griechische Regierung, Milliardenzahlungen an Banken mit einem Raubzug gegen die Mehrheit der Bevölkerung zu erkaufen. Ein „Ja“ beim Referendum am Sonntag ist ein „Ja“ zu einer Fortsetzung der Politik, die den Niedergang der griechischen Wirtschaft verschärft hat, die Arbeitslosenquote auf über 25 Prozent getrieben und dazu geführt hat, dass in griechischen Krankenhäusern inzwischen nicht nur Personal, sondern teilweise auch Verbandszeug fehlt. Die EU-Kommission hat den Entwurf für ein neues Spardiktat vom 25. Juni veröffentlicht – ein „Ja“ am Sonntag wäre ein „Ja“ zu Kürzungen bei Frührenten, zu Gesetzen, die eine „starke Abschreckung“ vor einer Frühverrentung sicherstellen, zu einer Neuordnung der Mehrwertsteuer, die die Belastung für die breite Bevölkerung deutlich erhöht.

Aber was ist ein „Nein“? In der vergangenen Woche waren die Verhandlungen gescheitert, nachdem die Gläubiger auch den letzten Vorschlag der griechischen Regierung nicht akzeptieren wollten. Ist ein „Nein“ damit ein „Ja“ zu den bisherigen Vorschlägen der Regierung?

Die war den Gläubigern in den Verhandlungen weit entgegengekommen. In der Frage der Mehrwertsteuer gab es zuletzt fast keine Unterschiede mehr: In Zukunft soll die Mehrwertsteuer auf 23 Prozent steigen, ein ermäßigter Satz von 13 Prozent soll für Strom, Grundnahrungsmittel und – „aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit“ – Hotels gelten. Mit stark ermäßigten 6 Prozent sollen Medikamente und Bücher besteuert werden. Die bisher geltende Ermäßigung von 30 Prozent für die griechischen Inseln soll vollständig abgeschafft werden. Der wichtigste Unterschied zwischen dem Vorschlag der griechischen Regierung und ihren Gläubigern: Die Regierung will auch Restaurantbesuche mit dem ermäßigten Satz von 13 Prozent besteuern.

Eine „Reform“ der Renten gehörte zu den weiteren Punkten, die in den Verhandlungen im Zentrum stehen. Auch die Regierung hatte eine Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre vorgeschlagen, Kürzungen bei Frührenten und – statt Rentenkürzungen – eine Erhöhung bzw. in einigen Fällen Einführung eines Gesundheitsbeitrages für Rentner. Im Vergleich zu den Forderungen der Gläubiger will sie etwas geringere Kürzungen und eine langsamere Anhebung.

„Nein zum Vorschlag der EU, des IWF und der EZB, Nein zum Vorschlag der Regierung – Loslösung von der EU – mit dem Volk an der Macht“ – die KKE ruft dazu auf, den Wahlzettel durch dieses Flugblatt zu ersetzen.

„Nein zum Vorschlag der EU, des IWF und der EZB, Nein zum Vorschlag der Regierung – Loslösung von der EU – mit dem Volk an der Macht“ – die KKE ruft dazu auf, den Wahlzettel durch dieses Flugblatt zu ersetzen.

Das Angebot, das die griechische Regierung den „Institutionen“ gemacht hat, ist keine Alternative zur Sparpolitik, sondern ein etwas kleineres Übel. Nicht nur von Linken aus Syriza gab es Kritik, der rechte Koalitionspartner Anel drohte, eine Abschaffung der ermäßigten Mehrwertsteuer für die Inseln im Parlament abzulehnen.

„Die Regierung behauptet, dass der Vorschlag der Kreditgeber über die Grenzen des vom Volk bei den Wahlen erteilten Mandats hinausgehen. Befindet sich ihr Vorschlag etwa innerhalb dieses Mandats?“, fragte Giannis Gkiokas, Mitglied des ZK der KKE, nach der Ankündigung des Referendums. „In den letzten fünf Monaten hat die Regierung nicht nur kein einziges Gesetz annulliert, sie hat den bisherigen Rahmen nicht angetastet, und sie schlägt den Kreditgebern noch weitere Maßnahmen vor.“ Die Wahl zwischen den Vorschlägen von Gläubigern und Regierung biete keine wirkliche Alternative, so die KKE, weil sie beide den Rahmen der EU, den Rahmen der bisherigen Sparprogramme und der Staatsverschuldung anerkennen würden (siehe Randspalte). „Unsere Position muss sich in einer großen, kämpfenden Bewegung der Arbeiter und des Volkes ausdrücken“, so die Gewerkschaftsfront PAME in einem Aufruf vom Montag – „eine kämpfende Bewegung gegen die Memoranden und die EU, die sie im Namen unserer Ausbeuter durchsetzt.“

Die KKE kritisiert deshalb schon die Formulierung der Frage für das Referendum, auch die Pläne der Regierung für weitere Sparmaßnahmen müssten zur Abstimmung stehen, ein entsprechender Vorschlag für eine andere Formulierung wurde im Parlament zurückgewiesen. Nun ruft die KKE dazu auf, beim Referendum deutlich zu machen, dass sowohl der Vorschlag der Gläubiger als auch der Regierung abgelehnt werden muss – das bedeutet: ungültige Stimmen abzugeben, statt des Wahlzettels den „Vorschlag der KKE“ in die Urne zu werfen (siehe Bild). Sie kündigte an, diesen Vorschlag vor den Wahllokalen zu verteilen.

Die griechische Regierung sieht das Referendum als einen weiteren Schritt im Rahmen der Verhandlungen mit den Gläubigern. Tsipras ruft zum „Nein“ auf, um anschließend mit einem „gestärkten Mandat“ in neue Verhandlungen mit den Gläubigern zu gehen. Ein „Nein“ im Referendum würde nicht zu einem Ausstieg aus der Eurozone führen, ein „Grexit“ sei keine Option für Syriza, sagte Giorgos Chondros, Mitglied des ZK von Syriza, am Montag im ARD-Interview. Finanzminister Varoufakis will, wenn nötig, auch vor dem Europäischen Gerichtshof klagen, wenn die anderen EU-Staaten Griechenland aus dem Euro drängen sollten.

Über „Ja“ oder „Nein“ zum Vorschlag der Gläubiger darf das griechische Volk abstimmen, damit vermutlich auch über die Zukunft der Regierung – Tsipras deutete an, dass er im Falle eines „Ja“ zurücktreten würde. Über die neueste Senkung der Bewertung der griechischen Kreditwürdigkeit entschied dagegen am Montag die Ratingagentur Standard and Poor‘s. Über die Verlängerung und Ausweitung der Notkredite für griechische Banken entscheidet der EZB-Rat. Und darüber, was diese Banken mit diesen Krediten machen, entscheidet auch trotz Kapitalverkehrskontrollen nicht die griechische Regierung.

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"„Nein“ heißt was?", UZ vom 3. Juli 2015



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