Vor 70 Jahren, am 20. April 1953, starb Erich Weinert – Dichter, Satiriker und einer der bekanntesten Protagonisten der proletarisch-revolutionären Literaturbewegung des 20. Jahrhunderts. Sein Markenzeichen waren die gestochen scharfen Worte, mit denen er die Zustände in der Weimarer Republik und in Nazideutschland geißelte – Worte, die bleiben.
Lehrjahre
Geboren am 4. August 1890, wuchs Weinert im Magdeburger Arbeiterviertel Buckau auf; seine Erziehung war sozialdemokratisch und antiklerikal geprägt. Im Anschluss an die Volksschule absolvierte er eine Lehre als Maschinenbauer. 1908 folgten der Besuch eines kunstgewerblichen Kollegs und ein Kunststudium, das er 1912 als „Akademischer Zeichenlehrer“ abschloss.
Noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs trat Weinert 1913 in den Militärdienst ein und diente während der Kriegsjahre als Vizefeldwebel bei der Infanterie. Aus Feldpostbriefen an seine Familie wissen wir, dass er zu Kriegsbeginn die militärischen Ambitionen Deutschlands noch guthieß. Die leidvollen Erfahrungen des Fronteinsatzes und die Gräuel des Stellungskriegs schürten bei ihm indes rasch die Zweifel am Sinn des Mordens – als Antimilitarist kehrte er heim aus dem Krieg.
Erste Auftritte
1919 fand Weinert eine Anstellung als Aushilfslehrer an der Magdeburger Kunstgewerbeschule. In seiner freien Zeit begann er zu dichten. Seine Schwester Anni verriet in ihren Erinnerungen, dass ihm das Talent zum Verseschmieden wohl schon in die Wiege gelegt war: „Mit sieben Jahren versuchte er zu dichten, was ich unerhört schön fand.“
Nun aber war sein Genre weiter gesteckt, mit spitzer Feder nahm Weinert die gesellschaftlichen Verhältnisse aufs Korn. Zusammen mit dem Grafiker Bruno Beye gründete er die Künstlervereinigung „Die Kugel“ und publizierte seine ersten Arbeiten. Grassierendes Elend, der Kapp-Putsch im März 1920 und die im Ruhrgebiet aufflammenden Arbeiterkämpfe politisierten den jungen Weinert. Zwischenzeitlich selbst arbeitslos geworden, hielt er sich und seine Familie mit allerlei Schauspielerjobs gerade so über Wasser und verdingte sich in Magdeburg, später in Leipzig und Berlin als „Sprechdichter“. Sein Engagement am Leipziger Kabarett „Retorte“ im Mai 1921 machte ihn überregional bekannt. Er verstand es, die Kraft und beißende Schärfe seiner Worte mit der Eindringlichkeit seines mündlichen Vortrags zu untermauern – eine Fähigkeit, die ihm durchaus bewusst war: „Ich hatte die literarische Gabe, das Lächerliche so zur Schau zu stellen, dass es tödlich wirkte.“
Wachsende Bekanntheit
Nach dem Wechsel in die Reichshauptstadt 1923 setzte Weinert durch seine Auftritte im Künstlercafé „Küka“ weitere Akzente. Inzwischen war er reichsweit bekannt – seine Texte erschienen im „Simplicissimus“ und in der „Weltbühne“, für die auch Kurt Tucholsky schrieb. Weinert polarisierte: Satiren wie „Der Rote Feuerwehrmann“ oder das „Lied vom roten Pfeffer“ sorgten in den 1920er Jahren für helle Entrüstung bei den Herrschenden und für schallendes Gelächter bei den proletarischen Massen. Einer seiner berühmtesten Texte entstand im Jahr 1927 – das von Wladimir Vogel vertonte Gedicht „Der heimliche Aufmarsch“ mit der Verszeile „Arbeiter, Bauern, nehmt die Gewehre zur Hand“.
Seine politische Heimat fand Weinert 1924, als die „Rote Fahne“ – das Zentralorgan der KPD – ihn als ständigen Autor gewann. Vier Jahre später gehörte er zu den Mitbegründern des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller (BPRS). In dessen Zeitschrift, der „Linkskurve“, arbeitete er mit Schriftstellerkollegen wie Egon Erwin Kisch, Willi Bredel und Johannes R. Becher zusammen. Seit 1929 Mitglied der KPD, hielt er 1930 mit Blick auf einen Vortragsabend im südlich von Frankfurt am Main gelegenen Mörfelden fest: „Von nun an wusste ich, wohin ich jetzt und für alle Zeit gehörte.“ Auch die Weimarer Justiz wusste um die Macht seiner treffsicheren Verse: Sie bescherte ihm in den Jahren 1927 bis 1931 mehrere Verurteilungen wegen Beleidigung der Reichsmarine, Gotteslästerung und „Aufreizung zum Klassenhass“. Beirren ließ er sich nicht.
In Spanien
1933 stand Weinert das Glück bei: Die Nazijustiz suchte ihn mit Haftbefehl, er aber gastierte gerade mit seinem Programm in der Schweiz. Über Frankreich und das Saargebiet floh er in die Sowjetunion, wo er im Sommer 1935 eintraf. Wieder war seine Stimme in Deutschland unüberhörbar, jetzt über die Lang- und Kurzwellenfrequenzen von Radio Moskau.
Bei Ausbruch des Spanischen Krieges 1936 hatte Weinert im „Lied der Internationalen Brigaden“ geschrieben, worum es jetzt ging: „Spaniens Freiheit heißt jetzt unsre Ehre, unser Herz schlägt international.“ 1937 traf er in Spanien ein, zwei Jahre Frontberichterstattung folgten. Den Interbrigadisten Weinert traf Ende Oktober 1938 das gleiche Schicksal wie 10.000 andere demobilisierte internationalistische Kämpfer auch – sie zogen zum Abschied unter dem ehrenden Beifall von 200.000 Spanierinnen und Spaniern durch die Straßen Barcelonas und gingen zurück in die Länder, aus denen sie gekommen waren.
Für Weinert waren die zwei spanischen Jahre eine zentrale Erfahrung in seinem Leben: „Heute, wo der Weltfaschismus zu neuem Schlage ausholt, sollten wir uns der mächtigen Kraft erinnern, die im Spanischen Krieg ihre Feuerprobe bestanden hat: der Solidarität der Völker“, schrieb er im Vorwort zu seinem Spanienbuch „Camaradas“. Auf der Flucht vor den Franco-Faschisten verschlug es ihn zunächst in das französische Konzentrationslager Saint-Cyprien, wo er bis Herbst 1939 festgehalten wurde. Inzwischen schwer lungenkrank, gelang ihm die Ausreise in die Sowjetunion. Dort arbeitete er als Übersetzer und für den Moskauer Rundfunk.
Vor Stalingrad
Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 stellte auch Weinert neue Aufgaben. Im Winter 1942/43 war die 6. Armee der deutschen Wehrmacht unter General Friedrich Paulus bei Stalingrad eingekesselt. Weinert, Bredel und Walter Ulbricht erreichten zur gleichen Zeit die dortige Frontlinie. Tagsüber arbeitete der rote Dichter an Texten, die als Flugblätter anschließend hunderttausendfach über den deutschen Schützengräben abgeworfen wurden. In der Nacht rückte er, zumeist in Begleitung von Ulbricht, selbst in die vordersten Stellungen der Roten Armee vor. Ohne nennenswerte Deckung installierte man Mikrofon, Kabel und großvolumige Lautsprecher und setzte über Stunden Botschaften an die Wehrmachtssoldaten ab. Ganz bewusst nutzte Weinert die eigene Stimme und keine Tonkonserven: Um sie „zu überzeugen, dass wir wirklich da sind, gingen wir alle Nächte in die vorderste Linie und brüllten durch den Lautsprecher zu ihnen hinüber“.
Die Propagandaarbeit war erfolgreich: Am 12. Juli 1943 trafen sich mehr als 300 deutsche Kriegsgefangene und exilierte Kommunisten in Krasnogorsk bei Moskau und gründeten das Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD). In seinem Manifest erhob das NKFD die Forderung nach einer „Amnestie für alle Hitleranhänger, die sich rechtzeitig durch ihre Taten von Hitler lossagen und der Bewegung für ein freies Deutschland anschließen“. Die Delegierten wählten Weinert zum Präsidenten, was ihm postwendend im fernen Deutschland die Verurteilung zum Tode durch das Reichskriegsgericht einbrachte.
Die letzten Jahre
Nach dem Sieg über den Hitlerfaschismus kehrte Weinert 1946 nach 13 Jahren wieder in seine Heimat zurück, widmete sich dem Aufbau einer demokratischen Volksbildung und half die neue Kulturpolitik im besseren Teil Deutschlands voranzubringen. Während seiner letzten Jahre war er ans Krankenlager gefesselt. Er, der sein ganzes bisheriges Leben unermüdlich seine Stimme gegen das Unrecht erhoben hatte, war nun durch Fieber und Schmerzen gezwungen, leise und langsam zu sprechen.
Weinert war im besten Sinne der Brechtschen Definition ein „eingreifender Künstler“. Für ihn war Kunst nicht gefälliger Ausdruck verspielter Fantasie, sondern ein wichtiger Hebel in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung und der Umkehrung der Klassenverhältnisse: „Den Anspruch, Kunst zu sein, haben die meisten meiner Gedichte gar nicht gemacht; sie genügten, wenn sie aufklärten, überzeugten und dem Schwankenden Richtung gaben.“