Der Verkehrsminister klagt über Zunahme des Güterverkehrs und setzt auf die Autobahn

Neben der Spur

One more lane will fix it – eine weitere Spur wird das Problem lösen. Im Internet ist dieser Ausspruch längst zum geflügelten Wort geworden. Wer danach sucht, findet unzählige Bilder, die die gescheiterte Verkehrspolitik der vergangenen Jahrzehnte verdeutlichen. Stoßstange an Stoßstange stehen die Autos auf acht-, oder zehnspurigen Straßen. Weltweit wurde mit dem Straßenausbau die Hoffnung auf einen besseren Verkehrsfluss verbunden. Funktioniert hat das häufig nur kurzfristig. Denn der Ausbau der Infrastruktur bringt das inzwischen gut untersuchte Phänomen des „induzierten Verkehrs“ mit sich: Mehr Spuren führen langfristig zu einem höheren Verkehrsaufkommen und damit zum erneuten Verkehrsinfarkt.

Für Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) scheint dieses Problem nicht zu existieren. Vor wenigen Wochen brachte der Minister einen massiven Ausbau von Autobahnen ins Spiel. „Es wird auf deutschen Straßen mehr Verkehr geben und wir müssen damit umgehen. Sonst steht die Wirtschaft bald still und wir verlieren Arbeitsplätze“, erklärte Wissing in einem Interview mit der „Bild am Sonntag“. Wenn man „auf der Straße nicht ähnliche Zustände wie gerade bei der Schiene erleben“ wolle, müsse man „hier jetzt dringend gegensteuern“. Dabei verschweigt Wissing, dass die Überlastung des Bahnverkehrs das Ergebnis einer fehlgeleiteten, von Privatisierungen und Sparmaßnahmen bestimmten Politik ist. Bis heute hat das Bundesverkehrsministerium keinen konkreten Plan vorgelegt, um mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern.

Die dadurch entstandene Schieflage wird nun ins Feld geführt, um weiter auf die Straße zu setzen. Begründet wird dies vor allem mit der erwarteten Zunahme des Güterverkehrs. Nach Angaben des Verkehrsministeriums soll der Warentransport auf der Straße bis zum Jahr 2051 um 34 Prozent zunehmen. Im vergangenen Jahr wurden 3,7 Milliarden Tonnen Güter auf den Autobahnen transportiert. „Zehnmal soviel wie über die Schiene“, behauptet das Ministerium in einer Erklärung. Diese Rechnung geht allerdings nur auf, wenn die reinen Tonnagen miteinander verglichen werden, ohne die zurückgelegte Strecke zu berücksichtigen. Ausgedrückt in Tonnenkilometern wurden im Jahr 2021 fast 19 Prozent aller Gütertransporte über die Schiene abgewickelt. Von einem zehnmal höheren Anteil des Straßengüterverkehrs kann also keine Rede sein. Allerdings stagniert der Anteil der Bahn seit Jahren. Der Langzeitvergleich ist ernüchternd: Im Jahr 2000 fanden 16,2 Prozent der Güterverkehre auf der Schiene statt, der Zuwachs beträgt in mehr als zwanzig Jahren weniger als 3 Prozent.

Statt nach einer Lösung zu suchen träumt Wissing von zehnspurigen Autobahnen. Dadurch könne man auch „klimaneutralen Verkehr auf der Straße ermöglichen, mit mehr E-Autos und CO2-neutralen Kraftstoffen“, so der Minister. Dass das nicht funktioniert, weil die Infrastruktur um die Autobahnen herum nicht mitwachsen kann, dürfte den Verkehrsexperten im Ministerium durchaus bewusst sein. Die Hoffnung, dass der Straßengüterverkehr mit synthetischen Kraftstoffen oder Elektro-Lastwagen bruchlos fortgesetzt oder sogar noch ausgeweitet werden könnte, ist zudem unrealistisch. Das Verkehrsministerium ist hier im Sinne der Auto- und Lkw-Lobby unterwegs. Letztere profitiert seit Jahren von systematischer Lohndrückerei und verschärfter Ausbeutung der Fahrenden. Nur so kann die Tonne Fracht mit dem Lkw häufig günstiger transportiert werden, obwohl ein Güterzug bis zu 52 Lkw ersetzen könnte.

Unter miserablen Arbeitsbedingungen werden Güter auf eine Weise durch das Land gekarrt, die einer planvoll organisierten Gesellschaft niemals in den Sinn käme. Auch für die Berufskraftfahrer könnten sich bessere Alternativen auftun, wenn ein Umstieg auf den Schienengüterverkehr stattfinden würde. In Deutschland fehlen bis zum Jahr 2030 rund 87.000 Busfahrer im ÖPNV. Sicher ist es kein Zufall, dass das Verkehrsministerium lautstark auf die Autobahn setzt, während die Bahnbeschäftigten für bessere Löhne und eine Verkehrswende kämpfen. Der ausbeuterische Status quo soll erhalten bleiben.

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"Neben der Spur", UZ vom 24. Februar 2023



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