Serbische Opfer von Uranmunition wollen Entschädigung erstreiten

NATO verklagt

Der serbische Anwalt Srdjan Aleksic hat für 4.000 Mandanten Sammelklagen gegen die NATO eingereicht. Sein Ziel ist es, eine Entschädigung für die Opfer des NATO-Bombardements 1999 zu erstreiten. Infolge des Einsatzes von Munition aus abgereichertem Uran (Depleted Uranium) erkrankten Tausende an Krebs. Serbien hat seit mehr als einem Jahrzehnt die höchste Krebsrate in Europa, die zweithöchste in der Welt. Anwalt Aleksic weiß, wovon er redet. Auch bei seinem Vater wurde nach dem Beschuss seines Heimatdorfes durch Uran-Granaten Hautkrebs diagnostiziert.

Mehr als fünf Jahre dauerte die Prozessvorbereitung mit Aufarbeitung der Einzelfälle und Einholung zahlreicher radiologischer Gutachten. Das Anwalts­team, das inzwischen durch Experten aus anderen Ländern verstärkt wurde, darf zuversichtlich sein, die Vertreter der NATO, die bisher jede Verantwortung weit von sich gewiesen haben, in die Schranken zu weisen. Die NATO hat eingeräumt, während der 78 Tage dauernden Intervention etwa 15 Tonnen uranhaltige Munition verschossen zu haben. Ursprünglich ein Abfallstoff aus der Atomindustrie, verleiht Uran, das abgereichert noch einen Anteil von etwa einem Prozent radioaktivem Material aufweist, aufgrund seiner hohen Dichte Geschossen enorme Durchschlagskraft. Beim Aufschlag auf das Ziel verbindet sich das Metall mit Luftsauerstoff und treibt einen 5.000 Grad Celsius heißen Glutkern durch Mauerwerke oder Metallpanzerungen. Der zurückbleibende Uranstaub verteilt sich durch Wind oder Gewässer über weite Gebiete. Im zweiten Irakkrieg 2003 konnten nach dem Einsatz von Uran-Granaten durch die US-Armee selbst im mehrere tausend Kilometer entfernten Britannien erhöhte Urankonzentrationen gemessen werden. Bei 350 italienischen Soldaten, die nach 1999 im Kosovo stationiert waren, fiel bei Untersuchungen eine um das 500-Fache gesteigerte Konzentration von Uran im Blut und eine starke Zunahme von Strahlenerkrankungen auf.

Der schleichende Tod gehört zu den Folgen eines Krieges, zu dem der damalige NATO-Generalsekretär Javier Solana am Abend des 24. März 1999 den Einsatzbefehl gab. Nach 78 Tagen Bombenterror, über 2.300 Luftschlägen, Abwurf von 50.000 Tonnen Sprengmaterial, darunter etwa 30.000 Uran-Geschosse, hatte die NATO eine Schneise von Tod und Verwüstung über den Balkan gelegt. Die Bomben auf serbische Dörfer und Städte forderten mehrere tausend Tote, zerstörten 480 Schulgebäude und über 100 Krankenhäuser. Am 4. und 6. April 1999 schossen NATO-Jets die großen Raffinerien in Pancˇevo, Novi Sad und Bor in Brand. Fast 100.000 Tonnen auslaufendes Öl, wovon etwa ein Drittel verbrannte, lösten eine gigantische Umweltkatastrophe aus.

Deutschland beteiligte sich mit 14 Tornados zur Aufklärung und Bekämpfung der serbischen Luftabwehr am Einsatz. Die Luftwaffe hielt den anfliegenden Bomberstaffeln den Rücken frei.

Der Überfall der NATO auf Serbien, ohne Billigung der Vereinten Nationen, ohne dass ein NATO-Mitgliedstaat von Serbien bedroht, geschweige denn angegriffen worden wäre, hieß im offiziellen NATO-Jargon nicht Krieg, sondern „humanitäre Intervention“. „Wir führen keinen Krieg, aber wir sind aufgerufen, eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen“, verkündete Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Fernsehansprache, als die Bomber bereits im Anflug auf Belgrad waren.

Bis heute will die Bundesregierung von einer Mitverantwortung für die Bombenopfer und Strahlentoten nichts wissen. Getreu der immer wiederholten Phrase, „da die Bundeswehr nicht über Munition mit abgereichertem Uran verfügt“, lassen sich auch „keine primären Verpflichtungen ableiten“. Gleiches gelte, wenn Uranmunition aus deutschen Geschützrohren verschossen werde. „Es besteht keine rechtliche Grundlage, Partnerstaaten die Verwendung von Munition mit abgereichertem Uran in unter deutscher Kooperation hergestelltem Gerät zu untersagen.“ Fast scheint es, als hätte die Bundesregierung schon damals gewusst, dass dieses Leugnen jeglicher Verantwortlichkeit später noch einmal wichtig werden könnte: Am 26. April dieses Jahres erklärte im britischen Unterhaus Staatssekretär James Heappey, dass Britannien zusammen mit dem Kampfpanzer „Challenger 2“ schon vor einiger Zeit panzerbrechende Uranmunition in die Ukraine geliefert habe. „Aus Sicherheitsgründen werden wir nicht kommentieren, wie viele Schuss die Ukraine bereits genutzt hat“, ergänzte Heappey. Welches Geschütz die Urangranaten abschießt, ist hingegen bekannt: Die 120-mm-Glattrohrkanone L/55 des „Challenger 2“ ist baugleich mit der des „Leopard II A6“ und stammt von der deutschen Waffenschmiede Rheinmetall.

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"NATO verklagt", UZ vom 5. Mai 2023



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