Schweden und Finnland sollen in die NATO und alle, alle jubeln. Nur einer nicht: Erdogan stellt sich quer – „aus reinem Eigennutz“, wie der „Stern“ schrieb. Der Aufnahme neuer Mitglieder in die NATO müssen alle Mitgliedsländer zustimmen. Das eröffnet Verhandlungsmöglichkeiten. Angesichts weltweit steigender Preise hat der türkische Ministerpräsident ein Preisschild an seine Zustimmung zur Aufnahme Finnlands und Schwedens gehängt, das es in sich hat.
Er hätte Dollar zur Förderung der türkischen Wirtschaft fordern können, aber es geht um anderes. Zu seiner Liste mit zehn Forderungen gehören Fortschritte bei den Verhandlungen über den Kauf von Kampfflugzeugen aus den USA, aber vor allem Unterstützung beim Kampf gegen den Terrorismus – worunter Erdogan die PKK und die syrische YPG versteht. Solange Schweden und Finnland diese Gruppen unterstützen, könne die Türkei dem NATO-Beitritt nicht zustimmen.
Aus Erdogans Sicht ist das naheliegend: Sicherheit muss es für alle Verbündeten geben. Wenn Schweden und Finnland zu ihrer Sicherheit in die NATO wollen, müssen sie auch die Sicherheitsinteressen der Türkei berücksichtigen. Zunächst fielen die Forderungen der Türkei bei der NATO auf taube Ohren. Überhaupt ist bei den Staaten des Westens Fordern und Kommandieren statt Diplomatie zur Gewohnheit geworden. „China und Indien müssen die Sanktionen gegen Russland mittragen, sonst …“ heißt es da. Gegenleistung: Fehlanzeige. Und nun kommt gar die Türkei, der Paria unter den NATO-Staaten, der kaum Sanktionen gegen Russland verhängt, mit Forderungen.
Erst als es zu Verzögerungen im Betriebsablauf kam – die Türkei blockierte im NATO-Rat am 18. Mai die Behandlung der Aufnahmeanträge – folgten Gespräche. Stoltenberg twitterte, dass die Sicherheitsinteressen aller Verbündeten berücksichtigt werden müssten. Und der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, sagte, er sei zuversichtlich, dass auf die „Sorgen“ der Türkei eingegangen werden könne. „Wir haben ein sehr gutes Gefühl, wo das hinführen wird.“
„Schweden und Finnland“, heißt es bei der NATO, „sind unsere engsten Partner.“ Jetzt müssen sie in die NATO. Widerspruch ist zwecklos. Schließlich weiß in einer so schwierigen Situation jeder um seine Verantwortung, meinte Außenministerin Baerbock. Getreu dem Motto: Ich kenne keine Interessen mehr, ich kenne nur noch NATO.