Nachschub für die Ukraine ist ins Stocken geraten. Zugeben will das keiner

NATO gehen die Waffen aus

Moskau könne jederzeit neue Angriffe starten, während der Ukraine zunehmend die Munition ausgehe, klagte der österreichische Militärexperte Markus Reisner am 24. November im „ZDF“-Interview. Laut „New York Times“ kratzen USA und NATO derzeit überall Waffen zusammen, um die Ukraine zu beliefern und die eigenen Arsenale wieder aufzufüllen (29. November). Die Munition der Bundeswehr reiche „im Ernstfall“ nur für zwei Tage, schrieb die „Berliner Morgenpost“. Nachschub sei schwer zu beschaffen, da andere NATO-Staaten schneller orderten. Die Rüstungsindustrie weite die Kapazitäten nur aus, wenn langfristige Abnahme gesichert sei (28. November). Lars Klingbeil spielte Schwarzer Peter, als er die Rüstungskonzerne zu mehr Tempo aufrief.

Beate Landefeld

Ersatzteile für die Reparatur zerstörter Militärgeräte fehlen ebenfalls. Ein „Munitionsgipfel“ mit Rüstungsindustriellen am 28. November mit Kanzlerberater Jens Plötner, Wirtschafts-Staatssekretär Sven Giegold und Staatssekretär Benedikt Zimmer vom Verteidigungsministerium brachte keine unmittelbaren Resultate. Laut dem Soldaten-Portal „Augen geradeaus“ warnten die Rüstungsproduzenten vor zu hohen Erwartungen. Selbst wenn das nötige Material für die Produktion vorhanden sei, müsse sich die Politik auf lange Lieferzeiten einstellen. Das könnten auch Jahre sein.

Die bürgerlichen Medien bestätigen damit Prognosen des thailändischen Geopolitik-Bloggers und früheren US-Marines Brian Berletic. Er bewertete schon im September die spektakulären Geländegewinne der ukrainischen Armee in Charkow und Cherson als nicht nachhaltig. Die Kosten an Menschen und Material seien für die ukrainische Armee zu hoch. Beides sei nicht in dem Maße ersetzbar, in dem es zerstört werde. Das führe zur Überdehnung der ukrainischen Armee. Zugleich verstärke sich die russische Seite durch die anlaufende Mobilisierung. Soweit die Prognosen sich auf die Waffen bezogen, sind sie jetzt auch im bürgerlichen Mainstream angelangt.

Tritt damit Nüchternheit statt Siegeseuphorie ein? Längst nicht! In der US-Administration drängen bisher nur realistische Militärs wie der Generalstabschef Mark Milley auf Verhandlungen. Die Neocons, die seit 30 Jahren die US-Außenpolitik bestimmen, beanspruchen nach wie vor, die Welt nach ihrem Bilde zu formen. Sie waren die ideologischen Antreiber des „War On Terror“. Sie hielten die Auflösung der UdSSR für das Ende der Geschichte. Gegen Warnungen und Bedenken auch in den USA trieben sie die NATO-Ostexpansion voran.

Im „Krieg gegen Terror“ wurden NATO-Armeen zu Interventionstruppen umgebaut, fähig, schwächere Gegner „in die Steinzeit zu bomben“. An der Territorialverteidigung wurde in allen NATO-Ländern „gespart“. Jetzt, wo es den Neocons um die Eindämmung Russlands und Chinas geht, ist in Europa wieder „Landesverteidigung“ angesagt. Militärexperte Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations (ECFR) forderte dafür Anfang November einen „umfassenden Nachrüstungsplan“ der NATO, der die Ukraine langfristig mit Nachschub versorgt und die geleerten Arsenale der NATO-Staaten wieder füllt.

Alle scheuen sich, die Tatsache zu benennen, dass sie für die Waffen- und Munitionsknappheit der ukrainischen Armee kurzfristig keine Lösung haben. Dazu kommen hohe Todeszahlen, die Behinderung der Mobilität der ukrainischen Truppen durch russische Angriffe auf das Energiesystem und eine schwere Wirtschaftskrise. Im „ZDF“-Interview antwortete Oberst Reisner auf die Frage, ob nicht auch die Russen Probleme haben: „Dass die Russen Probleme haben, hören wir seit Beginn des Krieges, gerade vom britischen Geheimdienst … Fakt ist, dass Russland es bis jetzt geschafft hat, auf der strategischen Ebene ein Momentum aufrechtzuerhalten, und dieses Momentum bedeutet, dass, wenn immer es die Russen entscheiden, es zu einer Angriffswelle gegen die Ukraine kommt.“

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"NATO gehen die Waffen aus", UZ vom 9. Dezember 2022



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