Am Montag startet der NATO-Gipfel in Brüssel. Es ist das erste Präsenztreffen seit Beginn der Pandemie. Etablierte Politik und Leitmedien erwarten es mit Spannung, da US-Präsident Joe Biden das erste Mal anwesend sein wird – ein symbolischer Bruch mit der Ära Trump soll zelebriert werden.
Auf der Agenda stehen die Thesen „NATO 2030“, welche als Grundlage für eine Diskussion um Eckpunkte für ein zu erarbeitendes neues Strategiepapier dienen sollen. Damit soll das bisherige NATO-Grundsatzdokument von 2010 abgelöst werden. Dieses müsse dringend überarbeitet werden, basierend auf einer Analyse, die „vom Wiederaufflammen der systemischen Rivalität, dem anhaltend aggressiven Russland, dem Aufstieg Chinas“ ausgeht, wie es in dem Thesenpapier heißt.
So soll innerhalb der NATO eine gemeinsame Strategie gegenüber der Volksrepublik China erarbeitet werden. Sie müsse unter Berücksichtigung „der erklärten ideologischen Ziele seiner Führung erfolgen“. Mit den im Papier „NATO 2030“ vorgeschlagenen Thesen könne das Militärbündnis laut dem Papier „beiden traditionellen Bedrohungen begegnen: dem Terrorismus sowie der immer stärkeren Präsenz Russlands und in geringerem Maße Chinas“.
Der NATO-Gipfel folgt direkt auf das Treffen der G7-Industriestaaten in Cornwall, an dem auch Australien, Indien, Japan, Südkorea und Südafrika teilnehmen. Dort steht eine Investitionsstrategie gegen die Neue-Seidenstraße-Initiative auf der Tagesordnung. Auch das „NATO 2030“-Papier versucht der militärischen Orientierung der westlichen Imperialismen eine politische Einheit anzuheften, die sich vor allem gegen die Volksrepublik China richtet. Ob sich die europäischen Regierungen jedoch alle der US-Orientierung gegen Peking unterordnen wollen, ist fraglich.
Der als „Wertebündnis“ verklärte Militärzusammenschluss arbeitet allerdings verstärkt an der Heimatfront: „Die Verbündeten sollten sich bemühen, dafür zu sorgen, dass ihre nationale Politik der Linie der von der NATO entwickelten Politik folgt.“ Darüber hinaus sollten sie erwägen, „ein Exzellenzzentrum für demokratische Resilienz einzurichten, dessen Aufgabe es ist, einzelnen Verbündeten auf Anfrage Unterstützung zu leisten“. Es gehe darum, „der Einmischung von feindlichen externen Akteuren in die Funktionsweise ihrer demokratischen Institutionen und Verfahren zu widerstehen“. Wie diese Resilienz, zu deutsch Widerstandsfähigkeit, aussieht, lässt sich schon jetzt in der EU beobachten, die das bereits mit Peking ausgemachte Investitionsabkommen nun doch wieder auf Eis gelegt hat.
Ursprünglich ins Rollen gebracht hatte den NATO-„Reformprozess“ der deutsche Außenminister Heiko Maas. Der SPD-Minister hatte sich gegen die Aussagen des damaligen US-Präsidenten Donald Trump und des französischen Präsidenten Macron gestellt, welche die NATO als überflüssig oder hirntot bezeichnet hatten. Laut Maas sollte ein „Reflexionsprozess“ erfolgen, um die künftigen Aufgaben des ursprünglich gegen die Sowjetunion gegründeten Kriegsbündnisses abzustecken.
Zum Thesenpapier „NATO 2030“ hatten sich bereits über ein Dutzend hochrangiger französischer Militärs geäußert, sie sehen mit der Orientierung gegen China und Russland und den Angriffen auf das Konsensprinzip die europäische Souveränität in Gefahr. Gegen die angedachte Reform der Finanzverteilung in der NATO gab es – ungeachtet der Positivbezüge der Deutschen Annegret Kramp-Karrenbauer und Maas – auch schon deutlichen Gegenwind aus Paris. Der Brüsseler Gipfel wird zeigen, wie es um die „Einigkeit“ des transatlantischen Pakts steht.