Nach dem Riestermodell ein weiterer Zwischenschritt zur Privatisierung der Alterssicherung

Nahles’ Betriebsrente ist keine

Von Anne Rieger

Mit der gesetzlichen Rente werden in Deutschland jährlich über 250 Mrd. Euro verteilt. Der Betrag speist sich aus den Einkommen (Lohn- und Lohnnebenkosten) der Beschäftigten, ist also Eigentum der Versichertengemeinschaft. Im Umlageverfahren werden die Ausgaben für Renten direkt aus den laufenden Beiträgen der derzeitig aktiven Erwerbstätigen finanziert. Ein geringer Kapitalbestand wird als Reservefonds für den Fall ungleichmäßiger Einnahmeflüsse gehalten. Die Privatisierer, die keinerlei Respekt vor öffentlichem Eigentum haben, gieren nach diesen Beiträgen. Würden nur Teile dieser Geldsumme – mit Hilfe der Regierungspolitik – in Versicherungsgesellschaften fließen, würde ihnen das saftige Profite bescheren.

Genau das ist das Ziel privater Versicherungsgesellschaften und ihrer neoliberalen Helfer. Schon heute werden Riesterrenten mit jährlich 3,5 Mrd. Euro über Zulagen und Steuern „subventioniert“, also an private Eigentümer der Versicherungsgesellschaften gezahlt, ein gigantisches Förderprogramm für die Banken- und Versicherungswirtschaft. Allein die Metall-Rente (nur ein Produkt der Riesterrente) hatte im vergangenen Jahr 600 Mio. Euro Beitragseinnahmen. Aber erst 16,5 der 74 Millionen Versicherten haben einen solchen Räubervertrag unterschrieben. Frau Nahles will nun nachlegen. Über eine zukünftige obligatorische „Betriebsrente“ mit noch höheren staatlichen Zuschüssen sollen noch mehr Menschen verpflichtet und angelockt werden. Statt in die gesetzliche solidarische paritätische Alterssicherung einzuzahlen, sollen sie einen Teil ihrer Rentenversicherungsbeiträge „entgeltumwandeln“ und es einer privaten Versicherung in den Rachen werfen. Nur ein Zwischenschritt auf dem Weg in die vollprivatisierte Rente?

Das unter Bismarck durchgesetzte Rentenmodell hatte die einkommensbezogene Sicherung des Lebensstandards zum Ziel. 1958 wurde es endgültig als gesetzliches, paritätisches Umlagemodell etabliert. Im Jahr 1985 betrug das Netto-Rentenniveau 57 Prozent. „Seit den 1990er Jahren werden in den meisten Ländern Europas weitreichende Rentenreformen durchgeführt,“ so Herbert Rische, Präsident der Deutschen Rentenversicherung, 2013. Er nannte als wesentliche Ursache dieser Entwicklung den „demografischen Wandel“. Gerd Bosbach, Professor für Statistik an der Hochschule Koblenz, dagegen berichtet, dass 1990 Ex-Kanzler Helmut Schmidt beim Statistischen Bundesamt eine Anfrage zur Demografie gestellt habe. In der Wochenzeitung „Zeit“, deren Herausgeber Schmidt mittlerweile war, habe er dann einen „einseitigen“ Artikel zu Demografie veröffentlicht. „Dann, mit der Jahrtausendwende, spätestens 2002, und vor allem im Zusammenhang mit der Agenda 2010 im Jahr 2003, tauchten tagtäglich in den Politikerreden und Medien Demografiemeldungen auf“, so Bosbach.

Nicht die Demografie, sondern die Schwäche der Arbeiterbewegung und Gewerkschaften nach der Zerschlagung der DDR ermöglichte es den Herrschenden bereits 1992, eine Rentenreform in Kraft zu setzen, die die Höhe der Renten an die Nettolöhne, und nicht mehr an die Bruttolöhne anpasste. Schon 1994 legte der oberste Arbeitgeberverband BDA mit seiner Handlungsanleitung zum Sozialabbau nach: „Sozialstaat vor dem Umbau. Leistungsfähigkeit und Finanzierbarkeit sichern“. Die Regierenden gehorchten. Bis ins Jahr 2000 wurde Rentenniveau auf 53 Prozent abgesenkt.

Der erste entscheidende Meilenstein des Projektes „Privatisierung der Rente“ war die Rentenreform 2001 der Schröder-Fischer-Riester-Regierung: Weg von der Sicherung des Lebensstandards im Alter, hin zur Beitragssatzstabilität. Der Beitragssatz der gesetzlichen Rentenversicherung wurde auf höchstens 22 Prozent im Jahr 2030 festgelegt – nicht in unserem Interesse, sondern um den Unternehmern eine Erhöhung der Lohn(neben)kosten zu ersparen. Die gesetzliche Rente wurde von der Lohnentwicklung abgekoppelt, die Regelaltersgrenzen schrittweise angehoben, Kürzungsfaktoren wurden eingezogen um die Beitragsentwicklung zu bremsen. Zugleich sollten mit der systematisch aufgebauten kapitalgedeckten privaten Zusatzversorgung die zuvor produzierten Versorgungslücken geschlossen werden. Damit wurde der privaten Vorsorge im System der Alterssicherung eine neue Rolle zugewiesen: Sie war nicht mehr Ergänzung zur gesetzlichen Rente sondern Teilersatz.

Seitdem ist das Renteniveau auf heute 46,5 Prozent abgesunken und wird – so nichts geändert wird – im Jahr 2030 nur noch bei 43 Prozent liegen. Eine Köchin mit 1 943 Euro Monatslohn bekäme, wenn sie 2030 nach 40 Jahren in Rente ginge, nur noch 677 Euro. Heute wären es noch 755, im Jahr 2000 noch 832 Euro gewesen, rechnet der DGB vor. Andrea Nahles und Angela Merkel gehen nun den nächsten Meilenstein an: Um eine lebensstandardsichernde Rente zu erhalten, wollen sie die Menschen zwingen, sich zusätzlich mit einer 3. Säule, einer obligatorischen Betriebsrente, entgeltumwandelnd privat zu versichern.

Es muss jeder und jedem klar werden, dass es sich um einen Etikettenschwindel handelt. Es hat mit der klassischen Betriebsrente nichts zu tun, bei der das Unternehmen den Beschäftigten eine Rente fürs Alter zusagte und das voll über die eigene Gewinn- und Verlustrechnung abrechnete. Bei der geplanten Entgeltumwandlung zahlt der Beschäftigte allein bis zu sieben Prozent seines Bruttolohnes in eine Privatversicherung, die der Chef ausgesucht hat. Steuern und Sozialabgaben werden nicht fällig, was vielen passt. Doch in der Rentenphase sind Steuern, Krankenkassen- und Pflegebeiträge zu zahlen, und zwar Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeitrag allein vom Rentner oder der Rentnerin. Mit der Entgeltumwandlung sinken die persönlichen Einzahlungen in die gesetzliche Rente und damit später die Ansprüche. Geht es nach Konzerninteressen, wird man beim Abschluss des Vertrages noch nicht wissen, welchen realen Wert diese private Rente in Alter haben wird.

Die Ausweitung der Betriebsrenten in Form der Entgeltumwandlung schwächt und delegetimiert die gesetzliche Rente, denn die Einzahlungen verringern sich, sie strömen in die Kassen privater Versicherungskonzerne. Von den staatlichen Förderungen profitieren diese ebenfalls. Auch die Unternehmen profitieren, denn ihre Sozialversicherungsbeiträge in die Rentenkasse fallen nur an, wenn auch die Beschäftigten die gleiche Summe einzahlen. Frau Nahles folgt Herrn Riester auf dem Weg in die weitere Privatisierung der Rente.

Je 9,35 Prozent des Bruttoeinkommens zahlen Beschäftigte und Arbeitgeber in die gesetzliche Rentenkasse ein. Dieser Betrag ist für die Arbeitgeber bis 2020 gedeckelt. Die Bundesregierung antwortet auf eine Anfrage der Linken, dass es bereits heute für eine lebensstandardsichernde Rente nötig sei, dass sich Beschäftigte zusätzlich mit vier Prozent mit einer privaten Riesterrente und weiteren 1,4 Prozent mit einer privaten betrieblichen Rente versichern. Das ergibt eine Gesamtbelastung der Beschäftigten von 14,75 Prozent, beim Arbeitgeber aber sind es nur 9,35 Prozent.

Die paritätische Einzahlung beider würde nur 12,55 Prozent für die Beschäftigten bedeuten, und damit eine Verringerung ihrer Zahlung um 2,20 Prozentpunkte. 2030 wird die Differenz noch größer. Die Subventionierung der privaten Rentenzahlungen durch den Staat könnten zusätzlich in die gesetzliche solidarische Rente eingezahlt werden. Wenn alle Kürzungsfaktoren rückgängig gemacht würden, ließe sich das Rentenniveau stabilisieren und steigern, würden auch auch die Löhne steigen und mehr Menschen in Beschäftigung kommen. Der angstmachenden Diskussion um die Demografie und Haltelinien würde der Boden entzogen.

Die Forderung nach paritätischer Zahlung aller Beschäftigten in die gesetzliche Versichertengemeinschaft ist alternativlos. Schließlich geht es um einen nicht geringen Teil ihres erarbeiteten Lohnes.

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"Nahles’ Betriebsrente ist keine", UZ vom 10. Februar 2017



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