Tarifkampf im Öffentlichen Dienst wird Weichen für alle stellen

Nagelprobe bei Sparkassen

Schaum vor dem Mund hatte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, als sie die Tarifaktionen von ver.di kommentierte, um anständige Gehaltserhöhungen von moderaten 4,8 Prozent für den öffentlichen Dienst durchzusetzen. Das Bestreiken des öffentlichen Nahverkehrs verkündete die „FAZ“ am 30. September auf Seite 1, sei „kurios“, um dann gehässig fortzufahren: „Warum ver.di einen der größten Verlierer der Corona-Krise bestreikt, ist ebenso ein Rätsel wie der Ausstand in Kitas oder Krankenhäusern. … Fehlte nur noch, dass ver.di demnächst die Gesundheitsämter bestreikt.“

Wie üblich werden Beschäftigte auch in diesem Konflikt gegeneinander ausgespielt: Busfahrer und Erzieherinnen sollten sich ein Beispiel nehmen an der großen Verzichtsbereitschaft beispielsweise des Luft- und Bodenpersonals der Lufthansa oder den Beschäftigten anderer um ihr Überleben kämpfender Unternehmen.

Da verwundert es nicht, wenn in einem der Sektoren dieses viele Bereiche umfassenden Tarifkonflikts Forderungen nach Gehaltskürzungen anstatt von Lohnerhöhungen laut werden: Teil der Tarifrunde sind auch die Sparkassen. Hier besteht das „Angebot“ der Unternehmer – als örtliche Sparkassenvorstände, meist eng verwoben mit den kommunalen Spitzen – unter dem Strich aus einer kräftigen Gehaltssenkung durch das Streichen der sogenannten Sparkassensonderzahlung. Dieser zusätzliche Gehaltsbestandteil macht für viele einen Anteil von bis zu 8 Prozent des jährlichen Bruttogehalts aus. Laut ver.di hat Bundesinnenminister Horst Seehofer in der ersten Verhandlungsrunde betont, „dass es aufgrund der Situation bei den Sparkassen besondere Einschnitte geben müsse“. Das verblüfft, weil die Jahresergebnisse der Sparkassen 2019 ordentlich waren und die Institute unter dem Strich nach den bisher vorliegenden Ergebnissen nach einigen Umstellungsschwierigkeiten, die auch den Einsatz von Kurzarbeit nötig machten, auf einen guten Jahresabschluss 2020 zusteuern.

Hier droht die Normalität fast aller Lohnentwicklungen in großen kapitalistischen Krisen: Wenn aufgrund der stockenden Umsätze weniger Ware Arbeitskraft gebraucht wird, versuchen die Käufer dieser Ware, deren Preis zu drücken. Gibt es dann keine solidarische gegenseitige Gegenwehr der Verkäufer dieser Ware, bröckeln in der Tat die Preise erst an einigen, dann an immer mehr Stellen, bis sie auf breiter Front sinken. Wer sich die gegenwärtigen Zahlen hinter den Jubelmeldungen, wie gut „wir“ doch durch die Krise kämen, genauer ansieht, wird feststellen, dass dieser Prozess bereits im Gange ist. Das Frankfurter Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung stellte Ende September fest, dass inzwischen 17 Prozent der Haushalte in Deutschland Einkommensverluste hinnehmen mussten – fast die Hälfte davon um mehr als 20 Prozent. Zwar ist die Zahl der Kurzarbeiter im Juli auf 4,2 Millionen gesunken, der Schwerpunkt verlagert sich zur Zeit aber von den Krisenbranchen der ersten Monate – also Gastronomie, Unterhaltung, Erholung – zunehmend hin zur Industrie und damit zum Kern der kapitalistischen Maschinerie.

Angesichts dessen kommt dem Tarifkonflikt, den ver.di zur Zeit ausficht, und innerhalb dieses Konflikts der Auseinandersetzung dem Sparkassenbereich eine ganz zentrale Bedeutung für alle kommenden Tarifauseinandersetzungen zu. Wenn es den Sparkassen tatsächlich gelänge, in ihrem Bereich Lohnkürzungen durchzusetzen, würden im gesamten Banken- und Versicherungsbereich ebenfalls die Dämme zu brechen drohen. Und wenn den meist von CDU/CSU und SPD geführten Kommunen die Dreistigkeit gelänge, die Helden der sogenannten Corona-Krise tatsächlich mit guten Worten anstelle von guten Löhnen abzuspeisen, hätte das negative Auswirkungen auf alle anderen Branchen, in denen sich die kapitalistische Krise erst noch zu entfalten beginnt. Insofern ist den Ver.dianern die entschlossene Unterstützung aller befreundeten Stämme im Lager der Arbeitenden zu wünschen.

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"Nagelprobe bei Sparkassen", UZ vom 9. Oktober 2020



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