Wenn von der ältesten heute noch lebendigen Kultur der Welt die Rede ist, werden wenige darauf kommen, dass von den Völkern der Aborigines die Rede ist. Sie sind im heutigen Australien seit mehr als 50.000 Jahren zu Hause. Dort entwickelten sie eine Kultur, die sich massiv von dem unterscheidet, was heute „westliche Werte“ genannt wird. Eine kapitalistische Sichtweise mit einem Fokus auf persönlicher Bereicherung ist den Völkern der Aborigines bis heute fremd – doch konnten sie sich dem seit dem Eintreffen der Europäer in Australien vor 250 Jahren kaum entziehen.
Der Illustrator und Comic-Buch-Autor Jan Bauer hat nun beim Avant-Verlag einen Band vorgelegt, in dem er seine ganz persönliche Annäherung an Kultur, Lebensweise und -umstände der Aborigines festgehalten hat. In „Unter rotem Staub“ kehrt der Autor, der in „Der salzige Fluss“ bereits durch Australien wanderte, mehrmals nach Yuandumu in der Tanamiwüste im Norden Australiens zurück. Dort lebt das größte der übriggebliebenen Aborigine-Völker.
Dort lernt Bauer nicht nur die Jukurrpa genannten Geschichten kennen, mit denen die Aborigines sich und anderen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erklären und die auf Deutsch völlig unzureichend als „Traumzeitmythen“ übersetzt werden, sondern wird auch in das für uns komplizierte Verwandtschaftssystem des Aborigine-Volkes aufgenommen, heißt mit Nachnamen dort nun Japananka und hat neue Brüder, Schwestern und Eltern.
Was nach einem typischen „Ich will mal andere Kulturen kennenlernen“-Abenteuer weißer Europäer klingt, wird zu einem traurigen Ausflug in die Geschichte kolonialer Unterdrückung, als Bauers Bruder Phil bei seiner Rückkehr in die Stadt nicht mehr am Leben ist. Die Geschichte von Phil Japanankas Tod in Polizeigewahrsam ist tragisch, traurig, aber auch alltäglich – nicht nur in Australien –, sie hätte genauso auch einem Native American zustoßen können. Gesundheitliche Probleme, zu hoher Alkoholkonsum und schließlich festgenommen in betrunkenem Zustand – am nächsten Morgen lag Phil tot in der Zelle.
Bauer will nachvollziehen, was passiert ist, betrinkt sich in dem Park in Darwin, in dem Phil dafür verhaftet wurde, und natürlich passiert ihm, dem Weißen, nichts. Er fängt an nachzuforschen über die Kolonialgeschichte, landet beim Coniston-Massaker von 1928, bei dem nach dem Mord an einem weißen Siedler mindestens 100 Aborigines abgeschlachtet wurden, und greift, um die damalige Rechtfertigung darstellen zu können, zu einem schönen Kniff: er zitiert ein Comic-Heftchen der damaligen Zeit, in dem das Massaker als Heldengeschichte verkauft wird.
Merkwürdig blass bleibt die Ursachenfindung, dort steht ein Trauma aus dem Ersten Weltkrieg als Ursache für das Abschlachten von Kindern gleichberechtigt neben der Eroberung von Wasser und Land. Jan Bauers Graphic Novel zeigt, dass sich der Kultur der Aborigines zu nähern nicht vom Interesse an Exotik und fremdartig scheinender Lebensweise geleitet werden darf. Wer heute etwas über Jukurrpa wissen möchte, darf vor Inhaftierungsraten, gestohlenen Kindern, medizinischer Unterversorgung, Chancenlosigkeit und Armut die Augen nicht verschließen.
Jan Bauer
Unter rotem Staub
Avant-Verlag, 256 Seiten, Klappenbroschur, 26 Euro
Erhältlich im UZ-Shop