Wie die neue Personalverordnung die Qualität in Kitas gefährdet

Nachhaltige Verschlechterung

Peter Gorian

Mit der Änderung der Personalverordnung für Kindertagesstätten hat das Land Nordrhein-Westfalen eine folgenschwere Entscheidung getroffen. Kitas werden damit vor eine unlösbare Aufgabe gestellt und die Arbeit von Fachkräften massiv entwertet. Dieser Schritt mag als Reaktion auf den Fachkräftemangel deklariert werden, doch in Wirklichkeit ist er ein Türöffner für eine nachhaltige Absenkung der Qualitätsstandards in der frühkindlichen Bildung. Statt die bestehenden Probleme anzugehen, wird hier ein Hebel geschaffen, um die pädagogische Arbeit zu entprofessionalisieren und die Löhne weiter zu drücken – zulasten der Kinder, der Fachkräfte und letztlich der gesamten Gesellschaft.

Die neue Verordnung erlaubt es, Personen ohne pädagogische Ausbildung verstärkt in Kitas einzusetzen. Sie dürfen nun nach einer 160-Stunden-Qualifizierung Aufgaben übernehmen, die bisher ausschließlich qualifizierten Fach- und Ergänzungskräften vorbehalten waren. Besonders alarmierend ist die Regelung, dass in akuten Personalmangelsituationen lediglich eine sozialpädagogische Fachkraft pro Einrichtung ausreichen soll – selbst in Einrichtungen mit mehr als 60 Kindern. Die restliche Betreuung wird von Ergänzungskräften oder gar fachfremden Personen übernommen. Dies ist ein Hohn gegenüber allen, die sich täglich um die sprachliche, soziale und emotionale Entwicklung der Kinder kümmern.

Was bleibt auf der Strecke? Sprachförderung, Inklusion und Integration. Besonders Kinder mit Behinderung, die auf Eins-zu-Eins-Betreuung durch Kita-Assistenten angewiesen sind, werden benachteiligt. Der Landschaftsverband Rheinland (LVR) und der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) haben in den letzten Jahren die Bewilligung solcher Maßnahmen immer weiter eingeschränkt. Das ist eine besorgniserregende Entwicklung, die durch diese Verordnung sogar noch verschärft wird. Wie sollen Fachkräfte diesen Kindern gerecht werden, wenn sie sich gleichzeitig um übergroße Gruppen kümmern müssen?

490302 KitaPersonalverordnung - Nachhaltige Verschlechterung - Bildungspolitik, Fachkräftemangel, Kindertagesstätten, Personalverordnung - Wirtschaft & Soziales
Foto: Klicker / pixelio.de

Die Änderung der Personalverordnung ist nicht nur ein Angriff auf die pädagogische Qualität, sondern auch auf die Arbeitsbedingungen der Fachkräfte. Durch die Möglichkeit, fachfremdes Personal einzusetzen, wird der Wert einer fundierten Ausbildung faktisch herabgesetzt. Das drückt die Löhne und verschlechtert die Bedingungen für diejenigen, die mit Hingabe in diesem Beruf arbeiten. Statt mehr qualifiziertes Personal zu gewinnen, werden so Fachkräfte aus dem Beruf gedrängt – eine Entwicklung, die den Fachkräftemangel nur verschärfen wird.

Der Anspruch an frühkindliche Bildung wird zudem auf ein Minimum reduziert. Pädagogische Konzepte, die eine gute Integration von Kindern ohne Deutschkenntnisse oder die Förderung von Kindern mit Behinderungen ermöglichen, werden faktisch unmöglich gemacht. Dabei ist genau dies in einer immer vielfältigeren Gesellschaft essenziell: kleinere Gruppen, mehr qualifiziertes Personal und spezialisierte Unterstützung für Kinder mit besonderen Bedürfnissen.

Dagegen regt sich Widerstand: Elterninitiativen, insbesondere von Familien mit behinderten Kindern, haben bereits ihren Protest angekündigt. Auch der Fachkräfteverband NRW und Gewerkschaften wie ver.di schlagen Alarm und kritisieren die Verordnung scharf. Sie fordern bessere Bedingungen für Fachkräfte und Investitionen in die frühkindliche Bildung statt eine Absenkung der Standards.

Manche Kita-Träger begrüßen dagegen die Flexibilisierung. Sie erlaubt ihnen, Kitas trotz Personalmangels offen zu halten. Dabei handelt es sich um eine sehr kurzsichtige Entscheidung. Auf lange Sicht werden die Kitas darunter leiden, weil das Vertrauen der Eltern in die Qualität der Betreuung schwindet und immer mehr Fachkräfte den Beruf verlassen.

Die Herausforderungen der Zeit – Integration, Inklusion und Sprachförderung – lassen sich aber nur dadurch meistern, dass die Bedingungen verbessert werden. Wir brauchen mehr Fachkräfte durch bessere Bezahlung und attraktivere Arbeitsbedingungen. Wir brauchen kleinere Gruppen, um auf die Bedürfnisse der Kinder einzugehen. Und es braucht eine gezielte Förderung für Kinder mit besonderen Bedürfnissen und für Familien, die sprachliche Unterstützung benötigen.

Die neue Personalverordnung 2024 ist ein Armutszeugnis für die Bildungspolitik in NRW. Die Politik opfert hier die Zukunft der Kinder und die Arbeitsbedingungen der Fachkräfte für eine scheinbare Notlösung, die keine ist. Dagegen müssen sich Fachkräfte, Eltern und Verbände gemeinsam wehren und für eine bessere Zukunft der frühkindlichen Bildung kämpfen. NRW braucht keine Absenkung der Standards, sondern eine echte Investition in die Zukunft unserer Kinder.

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"Nachhaltige Verschlechterung", UZ vom 6. Dezember 2024



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