Zur Verteilung des Corona-Impfstoffs

Nach wessen Bedürfnissen?

Ist das schon Sozialismus? Wir wundern uns, dass Gesundheitsminister Jens Spahn den Corona-Impfstoff nicht so unter die Leute bringen will, wie es der Markt gerade einrichtet. Wäre es nicht effizienter, dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage zu überlassen, ob die Familie genug Geld zusammenbekommt, um Oma den Gutschein für die zweite Spritze unter den Christbaum zu legen? Notwendige Güter danach zu verteilen, wer sie besonders dringend braucht, passt nicht in unsere freiheitliche Gesellschaft – jedem nach seinen Bedürfnissen, wo kämen wir da hin?

Aber genau das hat der Minister nun verordnet: Er hat die Bevölkerung in Gruppen eingeteilt, wer wie stark durch eine Ansteckung gefährdet ist. Vielleicht sind damit die Warnungen vor der Corona-Diktatur gemeint? Errichtet Spahn die totalitäre Planwirtschaft?

Wir geben zu: Außer kommunistischen Miesmachern wird kaum jemand solche Fragen stellen, wenn im Pandemie-Management der Regierung so etwas wie Rationalität aufblitzt. Der Vergleich zwischen Spahns Impfstoff-Verordnung und Stalinschen Fünfjahresplänen ist einfach zu weit hergeholt. Schließlich wird die Entwicklung der Impfstoffe zwar mit Milliarden Euro, Dollar oder was auch immer von den Staaten gefördert und reguliert. Aber niemand stellt in Frage, dass die Konzerne, deren Mitarbeiter das Medikament entwickelt haben, damit fette Profite machen.

Wie die Bundesregierung das Virus bekämpft, richtet sich nicht nach den Bedürfnissen der Bevölkerung. Staatshilfen, Lockdown-Regeln und Schulschließungen zielen darauf, dass das deutsche Großkapital – im Mainstream-Sprech „die Wirtschaft“ – die Pandemie im Vergleich zu ihrer Konkurrenz möglichst gut übersteht. UN-Generalsekretär António Guterres hat neulich vor „Impfstoff-Nationalismus“ gewarnt. Der Impfstoff-Nationalismus, den Bundesregierung – neben der gemeinsamen EU-Bestellung hat Spahn kurz nochmal 50,5 Millionen Dosen nachgeordert – und EU-Kommission verfolgen, ist das Gegenstück zu Spahns Impfplan im Inland: Chaotischer Wettlauf zwischen den Mächten und Almosen für arme Länder.

Schön, dass zumindest mit den in Deutschland vorhanden Dosen mehr oder weniger planmäßig geimpft werden soll. Weniger schön, dass die Regierung die Lasten der Pandemie grundsätzlich so verteilt, dass die Profitmaschine möglichst nicht ins Stocken kommt.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Nach wessen Bedürfnissen?", UZ vom 24. Dezember 2020



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Herz.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit