Keine Obergrenze: In der vergangenen Woche kündigte die Bundesregierung an, dass von der Covid-19-Pandemie betroffene Unternehmen unbeschränkt mit Staatskrediten unterstützt werden sollen. Sie erhofft sich davon, die sich abzeichnende Wirtschaftskrise abzuschwächen.
Keine Untergrenze: Anfang März verfügte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), dass die Vorgaben, wie viele Pflegekräfte pro Patient die Krankenhäuser mindestens einsetzen müssen, vorläufig nicht mehr gelten sollen – damit die Häuser „flexibel“ auf die Pandemie reagieren können, twitterte der Minister.
„Wissen Sie, was Personaluntergrenzen bedeuten? Die unterste Grenze dessen, was eine Grundversorgung noch möglich macht. Wie kann man darunter Menschen versorgen wollen?“, fragt Katharina Schwabedissen, ver.di-Sekretärin im Fachbereich Gesundheit und Soziales, in einem offenen Brief an Spahn und den Landesgesundheitsminister von NRW, Karl-Josef Laumann (CDU). Sie erinnert daran, wie erschöpft die Pflegekräfte schon vor der Pandemie waren: Arbeitsverdichtung, Überstunden, Schlafmangel.
Und Schwabedissen erinnert daran, was den von den Ministern beklagten „Fachkräftemangel“ verursacht hat. Rund 200.000 examinierte Pflegekräfte arbeiten nicht mehr in ihrem Beruf – so wie Schwabedissen selbst: „Ich habe gerne und gut in meinen Beruf gearbeitet – und gerade deshalb kann ich ihn unter den von Ihnen und Ihren Regierungen erlassenen Bedingungen nicht ausüben.“ Sie fordert, Arbeitsbedingungen und Gehälter in den Krankenhäusern zu verbessern, um Fachkräfte zur Rückkehr in ihren Beruf zu bewegen.
Minister Spahn steht vor der Frage, ob die Krankenhausbetten ausreichen, um die Covid-19-Patienten der nächsten Monate zu behandeln. In den vom Virus stark betroffenen Gebieten Italiens sind die Intensivstationen teilweise so überfüllt, dass Patienten nicht beatmet werden können, obwohl es zu ihrem Überleben nötig wäre.
Die Pandemie gibt Spahn Gelegenheit, sich als Krisenmanager zu profilieren und seinen nächsten Karriereschritt an die CDU-Spitze zu sichern. In Umfragen gehört er inzwischen zu den besonders beliebten Politikern. In der vergangenen Woche lobte er: „Wir haben 28.000 Intensivbetten in Deutschland, etwa 25.000 Plätze mit Beatmung. Das ist, bezogen auf die Bevölkerungsgröße, die beste Ausstattung in ganz Europa.“ Nur: 37 Prozent der Kliniken mussten 2019 zeitweise Betten auf Intensivstationen schließen, weil Personal fehlte, stellte das Deutsche Krankenhausinstitut in einer im Dezember veröffentlichten Umfrage fest. Die Betten sind da, die Menschen, die die Patienten in diesen Betten versorgen können, fehlen. Die Zahl der vorhandenen Intensivbetten stimmt nur deshalb, weil Spahn mit der Personaluntergrenze den Standard für eine angemessene Versorgung ausgesetzt hat.
Noch im vergangenen Jahr schlug die Bertelsmann-Stiftung vor, die Hälfte der deutschen Krankenhäuser zu schließen. Unter dem Eindruck der Pandemie kritisierte auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund, dass sich die Krankenhausplanung ausschließlich an der Wirtschaftlichkeit orientiere und dadurch gefährdet sei, dass für Notfälle ausreichend Kapazitäten vorgehalten werden, weil die Kliniken damit kein Geld verdienen.
Während der Pandemie müssten Kliniken „elektive“ Behandlungen weitgehend verschieben, also solche, die sich ohne medizinische Nachteile verschieben lassen. Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach deutete vergangene Woche in der Tagesschau an, warum das System der Fallpauschalen (DRG), nach dem die Kliniken abrechnen müssen, etwas ganz anderes nahelegt: „Das kann zum Beispiel bedeuten, dass private Krankenhäuser Patienten mit Coronainfektion nicht gerne aufnehmen, um damit nicht lukrative andere Patienten in der gleichen Zahl zu verlieren.“
Kalle Kunkel, der als ver.di-Sekretär die Streiks für mehr Personal an der Charité begleitet hat, stellt im „Freitag“ fest: Die Pandemie wirke wie ein „Brennglas“, das die Probleme im Gesundheitswesen schärfer sichtbar werden lasse: „Krankenhausversorgung darf nicht den Marktanreizen überlassen, sondern muss demokratisch geplant werden.“