Was bedeutet der Wahlausgang in Britannien für den Brexit?

Nach der Farce

Ben Lunn, Glasgow

Der Aberglaube über den Pech bringenden Freitag, den 13., schien sich zu bestätigen, als viele aufwachten und feststellen mussten, dass Boris Johnson, der Premierminister, es irgendwie hinbekommen hatte, seine Macht auszubauen und von einer Minderheitsregierung in den Besitz der Mehrheit der Abgeordnetenstimmen zu kommen.

Der Staub, den dieses Wahlergebnis aufgewirbelt hat, wird einige Zeit brauchen, um sich zu legen, deswegen ist es schwer, jetzt schon eine klare Aussage darüber zu treffen, wie sich der Brexit entwickeln wird.

Bestimmte Dinge können wir aber annehmen. Erstens: Es ist schwierig, sich vorzustellen, dass die EU ihren Umgang mit Boris Johnson ändert. Wenn er kompetent genug wäre, einen flüssigen Austritt Britanniens aus der EU zu organisieren, wäre das vor der Wahl geschehen.

Zweitens: Mit der neuen Mehrheit der Konservativen Partei wird Johnson jeden „Deal“, den er für richtig befindet, durchkriegen, außer er findet sich auf einmal von „Rebellen“ umgeben.

Für die Arbeiterklasse in Britannien ist ein Sieg der Tories gefährlich – auch unabhängig von seiner Bedeutung für den Brexit. Die Vision der Tories für den Austritt aus der EU ist, den Neoliberalismus in Britannien auszuweiten – als wären sie auf einer Mission, die neoliberale Vision der EU zu übertreffen. Leave Fight Transform (LeFT), eine breite Koalition linker Politiker, Aktivisten und Gewerkschafter, wird ihre Anstrengungen verstärken, ebenso wie die Kommunistische Partei Britanniens. Es ist noch zu früh, um zu sagen, wie das aussehen wird.

Wenn der Brexit nicht das zentrale Thema gewesen wäre, hätte Labour die Wahlen gewonnen. Die Umfragen im Januar 2019 zeigten einen Vorsprung von fünf Punkten gegenüber den Konservativen. Zu diesem Zeitpunkt respektierte Labour das Referendum noch. Im Juni, kurz nachdem sich diese Haltung geändert hatte, verschwand der Vorsprung.

Lehren hätten aus der Wahl zum EU-Parlament gezogen werden müssen, bei der die Arbeiterklasse Britanniens massenhaft gezeigt hat, dass sie nicht in der EU sein will und zu ihrer Entscheidung beim Referendum steht. Der rechte Flügel der Labour-Partei sabotierte mit seiner Forderung nach einem zweiten Referendum die Wahlkampagne, was dazu geführt hat, dass die Partei bestimmte großartige Politiker wie Dennis Skinner (Britanniens ältester Abgeordneter, genannt „The Beas­t of Bolsover“), Laura Pidock und Laura Smith verloren hat.

Zyniker könnten sagen, dass es bei der Verschiebung mehr um den Schutz von Pro-EU-Elementen der Labour-Partei ging. Pessimisten werden auch sagen, dass das „Corbyn-Experiment“ gescheitert ist. Wenn die Labour-Partei jemals wieder in ihren alten Hochburgen Fuß fassen soll, müssen sie aus dieser Wahl lernen – widersetze dich nicht dem Urteil der Mehrheit.
Die Scottish National Party (SNP) wird das Wahlergebnis mit ziemlicher Sicherheit als „Bestätigung“ für die Notwendigkeit der Unabhängigkeit sehen. Betrachtet man die Zahl der gewonnenen Sitze, könnte man leicht davon ausgehen. Da diese Sitze jedoch vielerorts stark umkämpft waren und oft nur mit 40 bis 50 Prozent der Stimmen errungen wurden, ist es unwahrscheinlich, dass „Ja“ gewinnen wird, wenn es zu einem neuen Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands kommen sollte.

Da die Konservativen die Mehrheit haben, sind sie nicht mehr darauf angewiesen, dass der nordirischen Demokratischen Unionistischen Partei (DUP) ihre Pläne für den Brexit gefallen. Das bedeutet, dass die Besorgnis über die Spaltung zwischen den sechs Grafschaften im Norden und dem Rest der Republik Irland mit ziemlicher Sicherheit keine Rolle mehr spielen wird. Die Kommunistische Partei Irlands würde betonen, dass „Irexit“ die beste Option ist, leider ist dies in Irland im Moment nicht mehrheitsfähig.

Mit Blick auf die sechs Grafschaften und Schottland ist es fast sicher, dass es einen großen Schub von SNP, der nordirischen Sinn Fein und der walisischen Plaid Cymru geben wird, sich vom Vereinigten Königreich zu lösen. Ein vereintes Irland wäre ideal für die irische Arbeiterklasse. Schottland, insbesondere im Hinblick auf den „Wachstumsbericht für ein unabhängiges Schottland“, wird mit einer Unabhängigkeit jedoch unweigerlich erleben, wie die schottische Arbeiterklasse erst ihre englischen und walisischen Landsleute unter den Bus schubst, um sich dann selbst in den Fuß zu schießen. Es ist schwer zu erkennen, wie Plaid Cymru den Vorstoß für ein unabhängiges Wales lenken wird, aber ich stelle mir vor, dass die Partei dem Muster der SNP folgen wird.

Es ist noch sehr früh, um wirklich einzuschätzen, was passieren wird. Die Tory-Mehrheit ist jedoch kein Zeichen für Klarheit nach den letzten drei Jahren der Verwirrung.

So oder so, Labour und die breite britische Linke sollten sehen, dass Lexit, ein linker Brexit, der einzige Ausweg für Abwanderung unserer Klasse ist.

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"Nach der Farce", UZ vom 20. Dezember 2019



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