Für die überwiegend weiblichen Altenpflegekräfte in Deutschland ist ein flächendeckender und für alle verbindlicher Tarifvertrag weit in die Ferne gerückt. Betroffen sind 1,2 Millionen Beschäftigte, davon 420.000 bei ambulanten Diensten und knapp 800.000 in Pflegeheimen. Darüber sprachen wir mit Detlev Beyer-Peters.
UZ: Die Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) und ver.di hatten sich auf einen Tarifvertrag über Mindestbedingungen in der Altenpflege verständigt. Welcher Zweck wurde damit verfolgt?
Detlev Beyer-Peters: Zweieinhalb Jahre Vorbereitungen und Verhandlungen gingen der Unterzeichnung des Tarifvertrages am 9. Februar 2021 für einen bundesweit geltenden „Tarifvertrag Mindestbedingungen in der stationären, teilstationären und ambulanten Alten- und Krankenpflege“ voraus. Ziel des Tarifvertrages sollte sein, einheitliche Bedingungen für die Beschäftigten in der Pflege auf einem höheren Niveau sicherzustellen, als dies beim derzeit geltenden Mindestlohn der Fall ist. Also gleiche Löhne für die jeweiligen Beschäftigungsgruppen.
Dadurch würde der kapitalistische Wettbewerb, der bisher fast ausschließlich um den Preis der Ware Arbeitskraft in der Pflege geführt worden ist, entschärft werden. Denn viele Pflegeunternehmen bezahlen aus reinen Profitgründen nach wie vor den Pflegekräften weitaus weniger Lohn als dies beispielsweise bei den Kommunen oder großen Teilen der Wohlfahrtsverbände üblich ist.
Das Versprechen der Bundesregierung und das Klatschen der Öffentlichkeit ließ hoffen, dass dies gelingt, damit keine Pflegekraft mehr zum Arbeitsamt rennen muss, um ihr Gehalt aufstocken lassen zu müssen, oder im Rentenalter die Grundsicherung beantragen muss. Die Absicht war, den Tarifvertrag nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz auf die gesamte Altenpflegebranche in Deutschland zu erstrecken. Damit wäre man dem Ziel näher gekommen, den Wettbewerb um die beste Pflegequalität und nicht um den niedrigsten Lohn zu führen.
UZ: Daraus wird nun wohl nichts. Was ist geschehen?
Detlev Beyer-Peters: Da die kirchlichen Träger derzeit noch zu den größten Altenpflege-Dienstleistern gehören, war deren Zustimmung zwingende Voraussetzung für die allgemeine Verbindlichkeit des ausgehandelten Tarifvertrages. An den Verhandlungen um diesen Tarifvertrag haben aber die kirchlichen „Dienstgeber“ selbst nicht teilgenommen, da sie vor dem Hintergrund der grundgesetzlichen Schutzgarantie für die Kirchen keine direkten Tarifverhandlungen mit den Gewerkschaften führen. Sie haben stattdessen den sogenannten Dritten Weg gewählt, bei dem „Dienstgeber“ und „Dienstnehmer“ miteinander verhandeln, ohne dass den Beschäftigten ein Streikrecht zugestanden wird. Deshalb haben die Bundestarifkommissionen der Gewerkschaft ver.di und des BVAP mit den kirchlichen Unternehmensträger der Caritas und der Diakonie eine Anhörung durchgeführt.
Problematisch daran ist jedoch, dass die kirchlichen Träger nur noch im Nachhinein Einfluss auf die vorgegebenen Inhalte des Tarifvertrages nehmen können. Das bietet ihnen die Möglichkeit, am ausgehandelten Tarifvertrag rumzumäkeln und sich mit scheinheiligen Argumenten aus der Verantwortung zu stehlen. Genau das ist geschehen.
UZ: Welche Verbesserung hätte dieser Tarifvertrag für die Pflegekräfte gebracht?
Detlev Beyer-Peters: Für einen sehr großen Teil der Pflegekräfte hätte der bundesweit geltende Tarifvertrag erhebliche Verbesserungen beim Einkommen zur Folge gehabt. Denn vielerorts erhalten die Pflegekräfte gerade einmal den gesetzlichen Mindestlohn. Und selbst mit einem bundesweit verbindlichen Tarifvertrag für die Altenpflege wäre die Diskussion um eine weitere Verbesserung bei der Bezahlung für Pflegekräfte nicht zu Ende gewesen.
UZ: Welche Auswirkungen hätte der bundesweite Tarifvertrag Altenpflege für die Beschäftigten in schon tarifabhängigen Unternehmen gehabt?
Detlev Beyer-Peters: Keinerlei Auswirkungen. Denn in solchen Unternehmen werden schon heute höhere Tarife bezahlt. Dazu gehören zum Beispiel die Altenpflegeeinrichtungen der AWO in Nordrhein-Westfalen, in denen für die Beschäftigten der Tarifvertrag AWO NRW gilt.
Das wird deutlich im Vergleich der Stundenentgelte für neueingestellte Beschäftigte bei der AWO vom Januar dieses Jahres zu den Mindestentgelten, wie sie der bundesweite Tarifvertrag ab August vorgesehen hätte. Beispielsweise zahlte die AWO für Pflegekräfte ohne mindestens einjährige Ausbildung 13,11 Euro. Der bundesweite Tarifvertrag hatte 12,40 Euro vorgesehen. Für Pflegefachkräfte mit einer dreijährigen Ausbildung zahlte die AWO 16,75 Euro, während der bundesweite Tarifvertrag 16,10 Euro vorsah.
Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Differenz im August 2021 zugunsten der Beschäftigten der AWO in NRW noch höher ausfallen wird, da derzeit eine Tariferhöhung ab 1. Februar 2021 verhandelt wird. Der neue bundesweite Tarifvertrag lässt im Falle einer günstigeren Regelung keine Absenkung zu.
UZ: Was würdest du im Deutschen Bundestag zur Verbesserung in der Altenpflege unternehmen?
Detlev Beyer-Peters: Im Interesse der Beschäftigten und der Pflegebedürftigen würde ich die sogenannte marktwirtschaftliche Steuerung der Pflegeeinrichtungen im Rahmen des Pflegeversicherungsgesetzes wieder abschaffen. Denn wo das Geldmachen im Vordergrund steht, ist das Risiko einer schlechten Pflegequalität auf den Knochen der Pflegebedürftigen zu hoch. In einem solch sensiblen Bereich öffentlicher Daseinsvorsorge darf nicht auf Knochen der Beschäftigten und der Pflegebedürftigen gespart werden. Wer gute Pflege will, muss darum kämpfen, dass die Finanzierung der Pflege auf neue Beine gestellt wird und genügend und qualifizierteres Personal für eine bedarfsgerechte Pflege zur Verfügung steht. Den Beschäftigten muss ein guter tariflicher Lohn gezahlt und die Arbeitsbedingungen und die Arbeitssicherheit nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen gestaltet werden. Prekäre Arbeitsverhältnisse und Zwangsteilzeit müssen beseitigt, ständige Überstunden und Schaukeldienste so weit möglich vermieden und Leiharbeit abgeschafft werden.
Wir Kommunisten wissen jedoch, dass letztendlich die Durchsetzungsfähigkeit in einem Parlament vor allem davon abhängt, ob und wie sich die Pflegekräfte organisieren, zur Wehr setzen und öffentlich engagieren.