Anders als die Schlagzeilen: Eindrücke aus Damaskus

Nach dem Händeschütteln

Von Max Matthes

„Ist der Krieg in Syrien kein Terror?“, fragt uns der syrische Informationsminister bei einem Treffen in Damaskus. Wir, das sind Jugendliche aus der Türkei, aus Palästina, aus dem Irak und einigen anderen Ländern, sind Anfang Januar unter der Losung „Hände weg von Syrien“, für 3 Tage nach Damaskus, gefahren, um uns ein eigenes Bild von der Situation in Syrien zu machen.

Als wir mit dem Auto die Grenze zwischen Syrien und Libanon erreichen, wird plötzlich ist alles dunkel. Keine Laterne leuchtet hier mehr, weit und breit kein Licht in einem Haus. Vermutlich hat das zwei Gründe: Alles, was sich in der Nacht sehen lässt, ist ein mögliches Angriffsziel. Und der Strom fällt hier immer wieder aus. Wir fahren vorbei an ausgebrannten Fahrzeugen, an Bunkeranlagen und immer wieder an Kontrollpunkten des syrischen Militärs

Nur wenige Wochen vor der Reise hat die Bundesregierung deutsche Soldaten nach Syrien geschickt, angeblich für den „Krieg gegen den Terror“. Gleichzeitig unterstützt sie sogenannte gemäßigte Rebellen gegen den „Machthaber Assad“. Die syrische Regierung habe ohnehin schon keine Kontrolle mehr über das Land.

In Damaskus sind wir in einem Hotel in der Innenstadt untergebracht. Der Weg hierher war relativ sicher, die Kontrollen locker, die Soldaten kaum bewaffnet. Auch bei den Syrern, die kontrolliert werden. Kontrollen, bei denen Soldaten die Kinder auf den Arm nehmen und beruhigen, unbewaffnet, und das in einem Kriegsgebiet. In der Stadt herrscht reger Verkehr, Menschen gehen arbeiten, zur Schule und abends feiern. Aber der Krieg ist nah. 5 Kilometer sollen es zum nächsten Kampfgebiet sein. Abends hört man die Explosionen nicht nur, man spürt sie auch. Und immer wieder schlagen Mörsergranaten im Stadtzentrum ein. Jeder, mit dem wir hier sprechen, hat Verwandte oder Freunde in diesem Krieg verloren.

Über 220 000 Menschen wurden bisher Opfer des Krieges. „Assad schlachtet sein Volk ab“, so oder so ähnlich lesen wir es immer wieder in den Schlagzeilen in Deutschland. Was wir nicht lesen: Über 80 000 der Toten sind Soldaten und Polizisten. Über 20 000 Menschen wurden Opfer von Terroranschlägen. Von der „brutalen Niederschlagung der Proteste gegen die Regierung“, die zum

„Mehr als ein Drittel der Toten

des syrischen Krieges sind

Soldaten und Polizisten der Regierung.“

Bürgerkrieg geführt habe, lesen wir in Deutschland. Was wir nicht lesen: Zu den ersten militärischen Aktionen dieser Opposition zählten die gezielte Ermordung der wichtigsten Offiziere der syrischen Luftwaffe, gleichzeitige Angriffe auf alle Radaranlagen rund um Damaskus sowie auf strategische Einrichtungen im ganzen Land. Wie es aussieht, wenn eine Armee eine Bevölkerung abschlachtet, zeigen die Kriege der Nato gegen Irak und Afghanistan, die den IS erst hervorgebracht haben. Bei so vielen Toten der syrischen Armee wird deutlich: Hier herrscht Krieg und auf beiden Seiten stehen militärische Verbände.

Schon kurz nach den ersten Angriffen auf die Radaranlagen soll es Luftoperationen gegeben haben, unter anderem aus Israel. Die Waffen der Terrororganisationen kommen aus den Beständen der Nato, der Ölhandel mit der Türkei floriert. Menschen aus über 90 Staaten sind inzwischen an diesem Krieg beteiligt. „Sie haben alles zerstört“, berichtet hier nicht nur die Regierung. Historische Stätten, Fabriken, öffentliche Gebäude. Von 22 000 Schulen sind 6 000 zerstört worden. Heute gibt es 2 Millionen Schüler und Studenten weniger in Syrien als noch 2004.

Der Rückhalt, den die syrische Regierung in einigen Regionen nach wie vor hat, lässt sich nicht nur durch Repressionen erklären. Ein Schulsystem, in der alle gemeinsam und weitestgehend kostenlos bis zur 12. Klasse zur Schule gehen und ein kostenloses Gesundheitssystem sind sicher nur zwei der Gründe dafür. Die internationale Hilfe für die syrische Bevölkerung soll hingegen nur 0,5 Prozen des Etats des syrischen Bildungsministeriums ausmachen.

Deshalb muss man kein Anhänger Assads sein, dessen Bild an jeder Straße, in jedem öffentlichen Gebäude, in jeder Kirche oder Moschee hängt. „Erst wollten alle Assads Hand schütteln, dann war plötzlich Krieg“, sagt der Informationsminister. Und er hat viele Hände geschüttelt. Aber er sagt auch: „Niemand kann ein Volk alleine repräsentieren. Die syrische Armee kämpft nicht für eine Person oder eine Regierung, sie kämpft für den „Arabismus“.

Die syrische Regierung tritt dafür ein, eine politische Lösung für den Konflikt zu finden, und sie besteht darauf, dass sie als legitime Regierung die Vertreterin eines souveränen Landes ist – nicht die Rebellengruppen von Gnaden der Großmächte. Die Verteidigung der syrischen Souveränität und sozialer Errungenschaften gegen die Imperialisten – das haben die Kommunisten mit ihr gemeinsam. Mehr nicht.

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"Nach dem Händeschütteln", UZ vom 22. Januar 2016



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