Vor 40 Jahren überfielen chinesische Truppen Vietnam

Nach dem Ende des Terrors

Von Stefan Kühner

Am 17. Februar 1979 überfielen chinesische Truppen ohne irgendwelche Warnungen oder Erklärungen Vietnam. Eine über 100 000 Mann starke Invasionsarmee drang in einer mehreren hundert Kilometer breiten Front bis zu 50 Kilometer tief in das Staatsgebiet Vietnams ein. Sowohl die Regierung als auch die militärische Führung Vietnams wurden durch den Angriff völlig überrascht. Der Oberbefehlshaber ihrer Armee weilte in Rumänien, der Premierminister war außer Landes. Aber die chinesischen Militärs hatten die Kampfkraft der vietnamesischen Soldaten unterschätzt, ähnlich wie zuvor schon Frankreich und die USA. Die Unabhängigkeit ist für Vietnam das höchste Gut und sie fügten den chinesischen Eindringlichen sehr schnell schwere militärische Verluste zu. Am 5. März sah sich Peking gezwungen, den Rückzug seiner Truppen anzukündigen. Dazu beigetragen haben auch weltweite Proteste. Die Bewegung gegen den Vietnamkrieg war in kürzester Zeit wieder auf der Straße – auch in der BRD. Bereits am 18. Februar, also nur einen Tag nach dem Angriff, versammelten sich 2 500 Bürgerinnen und Bürger unter der Losung „Hände weg von Vietnam“ auf dem Bonner Münsterplatz.

Die Frauenrechtlerin Florence Hervé war kurz nach dem Angriff in Vietnam und schildert das Geschehen in einem Artikel des „Viet Nam Kurier“. Sie schrieb, was ihr ein kleiner Junge erzählte. „Meine Mutter arbeitete auf einer Schweinefarm. Mein Vater war unterwegs. Meine Großmutter hieß Tan und meine kleine Schwester Thyet ging noch in den Kindergarten. Im Morgengrauen des 17. Januar drangen plötzlich fremde Männer mit Messern in unser Haus ein. Zuerst töteten sie Großmutter, deren Bett am nächsten zur Tür stand. Dann kamen sie zu dem Bett, in dem meine Mutter, meine Schwester und ich schliefen. Sie stachen auf sie ein, bis sie tot waren. Ich hatte mich unter dem Bett verkrochen, deshalb übersahen sie mich. Ich war so erschrocken, dass ich nicht einmal schreien konnte. Als sie weg waren, ging ich hinaus und da kam einer von unserer Dorfmiliz und brachte mich in den Wald in Sicherheit.“Hintergründe für die Aggression China gegenüber Vietnam lagen zum einen in der weltpolitischen Auseinandersetzung, in der sich die USA und China gegen die Sowjetunion und ihre Verbündeten. liiert hatten. Der zweite Grund war ein durch China geschürter Konflikt zwischen Kambodscha und Vietnam.

Blenden wir zurück: Im April 1975 zogen die Führer der „Roten Khmer“, der Befreiungsfront Kampucheas (wie Kambodscha seinerzeit hieß) mit ihren Truppen in Phnom Penh ein. Sie hatten gemeinsam mit den Befreiungskräften von Vietnam und Laos die USA aus Indochina vertrieben. In Kambodscha begann allerdings eine fast vier Jahre währende Schreckensherrschaft, der rund 3 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Bis heute wird dieses Schreckenssystem als Beispiel für die Unmenschlichkeit des Kommunismus dargestellt. Mit Kommunismus hatte die Ideologie der Rote-Khmer-Führer Pol Pot, Ieng Sary und Nuon Chea nichts zu tun. Sie vertraten vielmehr eine krude kleinbürgerliche Ideologie der Rückkehr zu einer urwüchsigen Agrargesellschaft. Alles, was mit einer wissenschaftlichen Entwicklung der Produktivkräfte in Verbindung stand, sollte in einem „neuen Klassenkampf“ zerstört werden. Dieser verlief zwischen den Bauern und der städtischen Klasse, die angeblich parasitär auf Kosten der Bauern lebte. Alle Fabriken und viele Handwerksbetriebe wurden zerstört. Die Geldwirtschaft wurde abgeschafft. In Familien zu leben galt als konterrevolutionär. Männer und Frauen wurden getrennt. Die Städte wurden evakuiert und die Menschen zur Landarbeit gezwungen. Aggressiv war auch die Politik Pol Pots nach außen. Im Dezember 1978 marschierten Kampftruppen der Roten Khmer in Vietnam ein, um das Mekong-Delta zu erobern. Dem sofortigen Gegenangriff der Vietnamesen konnten die Truppen der Roten Khmer kaum Widerstand leisten. Innerhalb kürzester Zeit eroberten die vietnamesischen Truppen mit Unterstützung kambodschanischer Kräfte Phnom Penh. Am 7. Januar 1979 war die Herrschaft der Roten Khmer beendet. Die von ihnen begangenen Verbrechen gegen das eigene Volk wurden weltweit sichtbar.

Wer nun geglaubt hatte, dass der Westen Vietnam danken würde, dass es mitgeholfen hatte, dieses menschenverachtende System zu stürzen und Kambodscha beim Wiederaufbau zu helfen, sah sich getäuscht. Das Gegenteil war der Fall. Eine unvergleichliche Hetzkampagne wurde gestartet. Vietnam wurde als Aggressor und Besatzer bezeichnet. Auch die UNO spielte hier auf Betreiben der USA, Chinas und der ASEAN-Staaten eine unrühmliche Rolle. Die neue Regierung in Kambodscha wurde nicht anerkannt, sondern weiterhin das Mörderregime Pol Pots.

Eine völkerrechtliche Aufarbeitung der Verbrechen Pol Pots und seiner Clique begann erst 2006 mit der Gründung eines Tribunals. Es sollte in einem internationalen Rahmen arbeiten und nach dem Vorbild der Nürnberger Prozesse und des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag agieren. Dem Tribunal wurde aber verboten, andere Länder oder Organisationen in seine Ermittlungen einzubeziehen oder sie abzuurteilen. Damit war die VR China, die die Roten Khmer gepäppelt und bewaffnet hat, aus dem Schneider. Ebenso die internationalen Institutionen wie die UNO, die den Roten Khmern ein politisches Überleben bis 1991 garantiert haben. Die USA hatten außerdem Regulierungen durchgesetzt, die verhindern sollen, dass ihre Komplizenschaft in den Jahren nach 1979 mit den Roten Khmern aufgedeckt werden könnte.

Erst vor kurzem, im Dezember 2018, wurde in der Hauptanklage, Völkermord, ein Urteil gesprochen. Der einstige Chefideologe Nuon Chea, jetzt 92 Jahre alt, und der damalige Staatschef des sogenannten „Demokratischen Kampuchea“, Khieu Samphan, 87, erhielten eine lebenslange Haftstrafe.

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"Nach dem Ende des Terrors", UZ vom 18. Januar 2019



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