Na prima – Streiks dürfen schaden

Ein Kommentar von Winfried Wolf

Ende August entschied das Bundesarbeitsgericht in letzter Instanz: Ein Fluglotsenstreik in Stuttgart war rechtens. Die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) muss an die Airlines für den Ausfall von Flügen keinen Schadenerersatz zahlen. Drei Fragen drängen sich auf:

Winfried Wolf

Winfried Wolf

Erstens. Warum gab es überhaupt die Klage u. a. von Lufthansa gegen die GdF, wenn der durch den Streik angerichtete Schaden laut Urteil „als ein Risiko, wie es zum Geschäftsleben gehört“ gewertet wurde? Schließlich ist es Sinn eines Streiks, das „Geschäftsleben zu schädigen“. Erfolgt dies nicht, war es kein Streik, sondern ein Pups im Wasserglas.

Zweitens. Warum mehrere Gerichtsverfahren über sechs Jahre hinweg? (Es ging um einen Arbeitskampf im Jahr 2009!) Warum eine solche Prozesshanselei wegen lächerlicher 35 000 Euro Schadenersatz?

Drittens. In welchem Verhältnis steht das Urteil zu den diversen Investorenschutzklauseln, die in den anhängigen Freihandelsabkommen verankert werden sollen? Heißt das jetzt, dass das höchste deutsche Arbeitsgericht sich indirekt gegen eine solche Aushebelung des Streikrechts durch internationale Verträge ausspricht?

Tatsächlich besagt das Urteil eben nicht grundsätzlich, dass die Folgen von Streiks die logische Konsequenz des Streikrechts sind und selbstverständlich von den Unternehmen, gegen die sie sich richten, getragen werden müssten. Die Richter argumentierten vielmehr, dass der 2009er Streik „in seinem damaligen Umfang […] nicht erheblich genug“ gewesen sei, um die Schadenersatzforderungen zu rechtfertigen.

Da ist sie wieder, die bereits Mitte der 1950er Jahre in Westdeutschland vorgetragene Argumentation, wonach nur ein Streik der „verhältnismäßig“ oder „sozialadäquat“ ist, auch von der Verfassung als rechtmäßig garantiert ist. Da ist sie wieder, die alte klassenpolitische Debatte, die damals im Gefolge des Druckerstreiks des Jahres 1952 zwischen dem rechten Arbeitsrechtsprofessor H. C. Nipperdey und dem linken Professor W. Abendroth geführt wurde. Nipperdey argumentierte unter Bezug auf BAG § 823, es gebe ein „Recht [der Bosse] am eingerichteten Gewerbebetrieb“. Abendroth hielt dagegen, die im Grundgesetz Artikel 9 verankerte „Koalitionsfreiheit“ schließe ein uneingeschränktes Streikrecht ein.

Was bleibt? Das Streikrecht ist weder im Grundgesetz unverrückbar verankert noch wurde es mit dem neuen BAG-Urteil eindeutig garantiert. Es muss laufend neu erkämpft werden – auch in Form eines Kampfes gegen TTIP.

Der Autor ist Chefredakteur von Lunapark21 und aktiv bei FaktenCheck:HELLAS

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Na prima – Streiks dürfen schaden", UZ vom 4. September 2015



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Tasse.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit